
Amtseinführung von Papst Leo XIV: Mission, Versöhnung und Kapitalismuskritik
Papst Leo XIV. ist offiziell als Papst eingesetzt. Eindrücke der Messe und der Predigt des Papstes, die als «Regierungserklärung» gilt.
Annalena Müller, Fotos: Vatican Media
Es ist ein Moment grosser Symbolik, der den Ton für das kommende Pontifikat setzen soll: die Amtseinführung eines neuen Papstes. Mit besonderer Spannung war die Predigt von Papst Leo XIV. erwartet worden – sie gilt als eine Art Regierungserklärung. Darin setzte Leo den Ton seiner ersten Woche als Papst fort: Brücken bauen zwischen Tradition und Gegenwart, Wunden heilen in Kirche und Welt – und eine missionarische Kirche, die liebevoll, ideologiefrei und menschenzugewandt ist.

Die Zeremonie begann mit einem Gebetsmoment am Grab des Apostels Petrus, begleitet von den Patriarchen der Ostkirchen. Anschliessend zogen Kardinäle, Patriarchen und der Papst in einer feierlichen Prozession von der Petersbasilika auf den Petersplatz. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Amtseinführung eine reine Männerveranstaltung.

Selenskyj, aber kein Trump
Ungefähr 100'000 Gläubige hatten sich auf dem Petersplatz versammelt. Auf den Ehrenplätzen nahmen die Vertreter:innen der über 200 angereisten Delegationen Platz – darunter Repräsentanten verschiedener Königshäuser und Gesandte aus aller Welt.
Wie schon bei der Beisetzung von Papst Franziskus war der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj anwesend. Die Schweiz wurde von Bundesrätin Karin Keller-Sutter vertreten. Die erste Reihe war für Delegationen aus Italien, Peru und den USA reserviert – letztere vertreten durch Vizepräsident J.D. Vance und Senator Mario Rubio, beide dem katholischen Traditionalismus nahestehend.

Höhepunkt: die päpstlichen Insignien
Die eigentliche Einsetzung des Papstes erfolgte mit der Übergabe der päpstlichen Insignien. Zunächst erhielt Leo XIV. das Pallium aus den Händen des apostolischen Nuntius in Syrien. Dies war eine Abweichung vom Protokoll, eigentlich war wohl der Protodiakon Dominique Mamberti vorgesehen, jener Kardinal, der am 9. Mai das «Habemus Papam» verkündet hatte.
Es folgte die Überreichung des Fischerrings, den Kardinal Luis Antonio Tagle, Präfekt des Dikasteriums für die Evangelisierung, dem neuen Papst an den Ringfinger der rechten Hand steckte. Tagle selbst war vor dem Konklave als einer der aussichtsreichsten Kandidaten für das Papstamt gehandelt worden.

Evangelisierung als zentrales Thema
Die Evangelisierung dürfte zu einem zentralen Leitmotiv des Pontifikats von Papst Leo werden. Schon in seiner ersten Ansprache von der Benediktionsloggia nach der Wahl hatte er die Mission als eine der vorrangigen Aufgaben der Kirche betont. Auch im Design des Fischerrings findet sich dieses Thema wieder: Dargestellt ist Petrus mit einem Fischernetz.
In seiner Predigt konkretisierte Leo die Aufgabe des Petrusamts: «Die Menschheit aus den Wassern des Bösen und des Todes zu «fischen» und sie zu retten. Als er am Ufer jenes Sees entlangging, hatte er Petrus und die anderen ersten Jünger berufen, wie er «Menschenfischer» zu sein; und nun, nach der Auferstehung, ist es an ihnen, diese Sendung fortzuführen, immer wieder neu das Netz auszuwerfen, um die Hoffnung des Evangeliums in die Wasser der Welt einzutauchen und das Meer des Lebens zu befahren, damit alle in die Umarmung Gottes finden.»

Zu Beginn seiner Predigt beschrieb Leo das Profil, das die Kardinäle im Konklave gesucht hätten: «Von unterschiedlicher Herkunft, haben wir unseren Wunsch, den neuen Nachfolger Petri zu wählen, den Bischof von Rom, einen Hirten, der das reiche Erbe des christlichen Glaubens bewahren und zugleich den Blick weit in die Zukunft richten kann, um den Fragen, Sorgen und Herausforderungen der heutigen Zeit zu begegnen, in Gottes Hände gelegt.»
Leo XIV. steht vor grossen Herausforderungen
Zwischen den Zeilen schwingt hier eine der grossen innerkirchlichen Herausforderungen mit – eine Herausforderung, die bereits seinen Vorgänger beschäftigt hatte: Wie kann die Kirche mit ihren Traditionen, Rollen und Symbolen in einer Welt bestehen, die sich immer stärker von diesen entfernt? Wie können die Bedürfnisse traditionellen Katholik:innen bewahrt werden, ohne zu einer weltfernen Sekte zu werden?

Die Antwort des neuen Papstes: mehr lieben. «Dies ist der missionarische Geist, der uns beseelen muss, ohne dass wir uns in unserer kleinen Gruppe verschliessen oder uns der Welt überlegen fühlen. Wir sind gerufen, allen Menschen die Liebe Gottes zu bringen, damit jene Einheit Wirklichkeit wird, die die Unterschiede nicht aufhebt, sondern die persönliche Geschichte jedes Einzelnen und die soziale und religiöse Kultur jedes Volkes zur Geltung bringt.»

Als weitere Schwerpunkte seines Pontifikats benannte Leo Frieden, Umweltschutz, Kapitalismuskritik und Schutz der Armen. Damit positioniert er sich inhaltlich in der Tradition seines Vorgängers Franziskus.
Kapitalismuskritik, Friede und Geschwisterlichkeit
«In unserer Zeit erleben wir noch immer zu viel Zwietracht, zu viele Wunden, die durch Hass, Gewalt, Vorurteile, Angst vor dem Anderen und durch ein Wirtschaftsmodell verursacht werden, das die Ressourcen der Erde ausbeutet und die Ärmsten an den Rand drängt. Und wir möchten in diesem Teig ein kleines Stückchen Sauerteig sein, das Einheit, Gemeinschaft und Geschwisterlichkeit fördert. Wir möchten der Welt mit Demut und Freude sagen: Schaut auf Christus! Kommt zu ihm!»

Auch wenn das Wort «Synodalität» nicht fiel, war die Botschaft klar. Papst Leo bekennt sich zu einer Kirche des gemeinsamen Weges: «Petrus (muss) die Herde weiden, ohne je der Versuchung zu erliegen, ein einsamer Anführer oder ein über den anderen stehender Chef zu sein, der sich zum Beherrscher der ihm anvertrauten Menschen macht (1 Petr 5,3); im Gegenteil, von ihm wird verlangt, dem Glauben der Brüder und Schwestern zu dienen, indem er mit ihnen gemeinsam auf dem Weg ist: Denn wir alle sind »lebendige Steine« (1 Petr 2,5) und durch unsere Taufe dazu berufen, das Haus Gottes in geschwisterlicher Gemeinschaft, im Einklang des Heiligen Geistes und in einem Zusammenleben in Verschiedenheit aufzubauen. Der heilige Augustinus sagt: «Die Kirche besteht aus all denen, die mit ihren Brüdern in Eintracht leben und den Nächsten lieben» (Sermo 359,9).»
Als «Regierungserklärung» ist Leos Predigt für alle gut verdaulich. Die wirklich strittigen Themen – Inklusion, Frauenfrage, Aufarbeitung des Missbrauchs, Pflichtzölibat – hat der neue Papst dabei klug umschifft oder nur gestreift. Aber die Liebe des Petrus allein wird die innerkirchliche Spaltung nicht heilen. Nach den symbolträchtigen Tagen und Feierlichkeiten für den neuen Papst beginnt nun der Alltag im Vatikan. Papst Leo XIV. steht vor gewaltigen Herausforderungen. Möge er ihnen gewachsen sein.