Papst Leo XIV. und der letzte Papst des gleichen Namens, Leo XIII. Fotos: KNA und Wikimedia

Für welche Kirche steht Leo XIV.?

Papstnamen sind programmatische Ansagen. Wofür steht Leo XIV.? Was darf man vom Kirchenmann Robert Francis Prevost erwarten? Eine Analyse.

 

Annalena Müller

«Was ist ein Name?», fragt Julia in Shakespeares berühmtem Drama. Die Antwort fällt für ein Kirchenoberhaupt natugemäss anders aus als für Romeo. Päpste wählen ihren Namen bewusst – als programmatische Ansage. Welches Programm also steckt im Namen des neuen Papstes – Leo?

Eine Brücke zwischen Kirche und Welt

Seit gut 150 Jahren hat kein Papst mehr diesen Namen gewählt. Der letzte Leo, Leo XIII., bestieg den Stuhl Petri im Jahr 1878. Zu dieser Zeit befand sich die Kirche in der schwersten Krise seit der Reformation. Während des sogenannten «Kulturkampfes» begrenzten Staaten den historisch grossen gesellschaftlichen Einfluss der Kirche. Industrialisierung, Moderne und Wissenschaft forderten die Kirche auf allen Ebenen heraus. Ihre Antwort: Abschottung, Abgrenzung und Verdammung von Aufklärung und der Moderne ganz allgemein. 

 

Auf dem Höhepunkt dieser Krise wurde Leo XIII. Papst. Er folgte auf den umstrittenen Pius IX. (1846-1878), der mit dem Unfehlbarkeitsdogma eine Spaltung der Kirche provoziert und der die Entfremdung zwischen Kirche und Welt weiter verfestigt hatte. 

Im Vergleich zu seinem Vorgänger zeigte sich Leo etwas offener und kompromissbereiter. Anstatt die Moderne per se zu verdammen, versuchte er christlich geprägte Antworten auf die Zeichen der Zeit zu geben. Mit der Enzyklika «Aeterni Patris» (1879) erhob Leo die Neuscholastik und das Denken von Thomas von Aquin zur verbindlichen wissenschaftlichen Methode der Kirche. Es war der Versuch einer theologischen Antwort auf die säkulare Wissenschaft. 

Antwort auf die Krisen der Zeit?

Auch heute ist die Kirche mit einer massiven, sogar existenzbedrohenden Krise konfrontiert. Säkularisierung, Missbrauchsskandale, Individualisierung – auf all das hat Rom bisher keine Antwort gefunden. Nicht nach aussen, aber – aus kirchlicher Sicht noch wichtiger – auch nicht nach innen. Wie gross die internen Spannungen zwischen den Lagern der «Progressiven» und «Traditionalisten» sind, war im Vorfeld des Konklaves in unzähligen Analysen nachzulesen.

Die Wahl des für Beobachter überraschenden Papstnamens «Leo» kann vor diesem Hintergrund als ein Signal zum Brückenbau verstanden werden – nach aussen und innen. Statt sich im Spannungsfeld der extremen Pole von «Anpassung bis zur Beliebigkeit» bis zu «sektiererischer Weltverneinung» aufzureiben, soll die Kirche eigene, authentische Antworten auf die Herausforderungen der Zeit formulieren und mittels der katholischen – verstanden als universellen - Identität Menschen gewinnen. 

Missionarische und synodale Kirche

In seiner ersten Ansprache auf der Benediktionsloggia bekannte sich Leo XIV. zu einer missionarischen Kirche, die durch ihre authentischen Antworten und ihr Streben nach Frieden und Gerechtigkeit Menschen von sich überzeugt, «immer darauf bedacht, als Männer und Frauen, die Jesus Christus treu sind, ohne Furcht zu arbeiten, das Evangelium zu verkünden und zu missionieren.» 

 

Anders als die Kirche seines Namensvetters, die trotz aller Brücken fest im «Antimodernismus» verankert blieb, ist das Kirchenbild des neuen Papstes ein offenes. Und ein dezidiert synodales: «Wir müssen gemeinsam danach suchen, wie wir eine missionarische Kirche sein können, eine Kirche, die Brücken baut, die den Dialog sucht, die immer offen ist. An alle, die unsere Nächstenliebe, unsere Gegenwart, unseren Dialog und unsere Liebe brauchen», sagte der frischgewählte Papst in seiner ersten Ansprache. Klarer kann man eine Absage an Abschottung und Rückwärtsgewandtheit kaum formulieren.

Der Kirchenmann Robert Francis Prevost bringt reichlich Erfahrung in diesen Bereichen mit. Der Augustiner war seit den 1970er Jahren als Missionar tätig, vor allem in Peru, wo er 2012 Bischof von Chiclayo wurde. Prevost kennt die Extreme der Welt und der Kirche. Als Hirte von Chiclayo hat er Armut und Gewalt aus der Nähe erlebt. Aus seiner Zeit als zweiter Vizepräsident der kirchenpolitisch polarisierten peruanischen Bischofskonferenz bringt er diplomatisches Geschick mit.

Arbeiter-Papst als Vorbild

Zurück zum Namensvetter. Heute wird Leo XIII. vor allem für sein politisches Wirken erinnert. Auch das dürfte bei der Namenswahl des neuen Papstes eine wichtige Rolle gespielt haben. Die Industrialisierung des 19. Jahrhunderts brachte bis dato unbekannten Reichtum für wenige und Massenelend für viele. Für Leo XIII. war die soziale Ungleichheit unerträglich. Mit seiner Antwort darauf, der Enzyklika «Rerum novarum» (1891), begründete er die katholische Soziallehre. Sein Wirken hat ihm den Spitznamen «Arbeiter-Papst» eingebracht.

 

Die Parallelen zur Gegenwart sind schwer zu übersehen. Besonders im Herkunftsland des neuen Papstes, wo der Reichtum der Tech-Milliardäre und der Pomp des Mar-al-Lago-Präsidenten Trump der Verarmung breiter Bevölkerungsschichten gegenüberstehen. Mit der katholischen Soziallehre ist diese Realität und das Gebaren ihrer Hauptakteure schwerlich in Einklang zu bringen. 

Es wird spannend sein, welche Impulse der neue Papst hier geben wird. Man darf wohl hoffen, dass Leo XIV. in Sachen Armutsbekämpfung, Einsatz für den Frieden und als moralisches Gewissen der Welt in der Tradition von Franziskus steht. Die Freude des US-Präsidenten und seines aus der rechtskatholischen Ecke kommenden Kabinetts am ersten US-Papst könnte von kurzer Dauer sein.

Leo ist nicht Franziskus

Einen Franziskus 2.0 aber sollte man dennoch nicht erwarten. Positionen, die der neue Papst als Kardinal Robert F. Prevost vertreten hat, deuten darauf hin, dass er ein Mann der kirchlichen Mitte ist. Laut dem konservativen Portal «College of Cardinals Report», steht Prevost der Ordination weiblicher Diakone ablehnend gegenüber. In dieser Frage hatte sich Franziskus zuletzt bewegt. Wie sein Vorgänger unterstützt Prevost die Zulassung wiederverheirateter Geschiedener zur Kommunion. Weniger aufgeschlossen hat er sich hingegen gegenüber LGBTQ-Anliegen gezeigt. 

Pastoral, missionarisch, Kenner der Realitäten der Weltkirche. In der sozialen Tradition seines Vorgängers, aber gemässigter und überlegter - auch das steckt im Papst-Namen.  «Leo» ist subtiler als «Franziskus», dessen Name eine unmissverständliche Kampfansage an das Establishment war. Dass Leo XIV. mehr Establishment sein wird als sein Vorgänger zeigte sich bereits an der Kleiderwahl: Während Franziskus bei seinem Amtsantritt auf der Benediktionsloggia nur die weisse Soutane trug, lag um Leos Schultern die rote Mozzetta – das traditionelle Schultercape – sowie die Stola.

«Was ist ein Name?» Leo XIV. könnte – nach einem für viele in der Weltkirche aufreibenden Pontifikat des Aufbruchs – Mitte und Ausgleich anstreben. Vielleicht nicht das Schlechteste, um die zahlreichen von Franziskus angestossenen Prozesse weiterzuführen und umzusetzen. Ob auf den Revoluzzer-Jesuiten ein besonnener Mitte-Augustiner folgt, werden die nächsten Wochen und Monate zeigen. Der Name zumindest deutet es an.