
Nemo holte den ESC mit seinem Sieg 2024 in die Schweiz. Foto: EBU/Corinne Cumming
Eurovision Song Contest: Gebetswoche am Queer-Event
Der ESC bringt dieser Tage tausende queere Menschen nach Basel. Evangelikale Gruppen gehen in die Offensive und organisieren eine Gebetswoche.
Sarah Stutte
Der Eurovision Song Contest (ESC) ist ein Musikevent der grossen Gefühle. Die Lieder handeln von Liebe und Sehnsucht, dem Wunsch nach Frieden oder sozialer Gerechtigkeit. Auch Religion ist ein wiederkehrendes Thema am ESC – in einem Jahr mehr, in einem anderen weniger stark vertreten in den Liedtexten oder Bühnenauftritten.
Kirchenkritik und Hexerei
2024, als der Wettbewerb im schwedischen Malmö stattfand, gab es viele solcher Bezüge. Die Ukraine ging mit einem Song über Maria Magdalena und Mutter Teresa ins Rennen. Dieser wirkte zwar vordergründig wie eine Glorifizierung der beiden Heiligen, enthielt aber auch eine emanzipatorische Botschaft und Kritik in Richtung römisch-katholischer Kirche, die nicht offen genug in der Frauenfrage sei.
Weniger subtil waren die Beiträge aus Irland und Slowenien, die von Hexen handelten. Slowenien erzählte von der dort bekannten Veronika Deseniška – die im Mittelalter der Hexerei angeklagt und später ertränkt wurde. Irland schickte – wie die Schweiz mit Nemo – ebenfalls eine non-binäre Person ins Rennen. Deren spektakuläre Auftritt beinhaltete Todeszaubersprüche und einen Tanz auf einem Pentagramm.
Den «destruktiven Werten Einhalt gebieten»
In kirchlichen Kreisen löste dies Kontroversen aus. Irische Katholik:innen warfen dem Song vor, Satanismus zu befördern. Das evangelikale Schweizer Online-Portal «livenet» fand: der Eurovision Song Contest werbe «in starkem Masse für die Genderthematik und Hexerei». Auf evangelikaler Seite wollte man für den Eurovision Song Contest 2025 im heimischen Basel vorsorgen, um «diesen destruktiven Werten Einhalt zu gebieten». So schreibt es das Portal jedenfalls in einem Artikel vom 9. Mai auf seiner Homepage.

Tatsächlich fallen dieser Tage die viele Bibelstände rund um das Messegelände und das St. Jakobstadion auf. Also genau dort, wo sich die ESC-Fans aus ganz Europa in dieser Woche vermehrt aufhalten. Dazu hat die Evangelische Allianz Basel eine Informationsseite mit Anlässen zu Gebeten, Live-Worships und Evangelisierung rund um den ESC aufgeschaltet.
Beten nicht gegen ESC
Unter den Veranstaltern ist das Gebetshaus Basel (House of Prayer/ HOP) mit einem 24/7-Stunden-Gebet. «Wir haben während der ESC-Woche in Basel durchgehend geöffnet und alle sind auch ohne Anmeldung willkommen, sich uns im Gebet anzuschliessen», erklärt Evelyne Fürst, Co-Bereichsleiterin Anbetung.

Direkt angesprochen auf die Posts auf «livenet», äussern sich die Gebetsveranstalter diplomatisch. Gebetet würde für die Stadt Basel, den ESC und für die Begegnungen auf den «Outreaches». Das seien diejenigen, die auf die Strasse gehen und den Menschen dort von Jesus erzählen, so Fürst. Als bewusstes Gegengewicht zum vornehmlich queeren Event will Evelyne Fürst die Gebetswoche nicht sehen. «Wir beten nicht gegen den ESC an und ich habe auch solche Gebete bisher nicht gehört. Das wäre kein Zeugnis für Jesus. Unser Ziel ist es, möglichst vielen Menschen zu begegnen und Gottes Liebe weiterzugeben», sagt sie.
Konflikt um Israel
Beim ESC in Basel gibt es übrigens nur einen Song, der sich dezidiert mit Religion auseinandersetzt. Der israelische Beitrag «New Day Will Rise» der Sängerin Yuval Raphael zitiert das Hohelied Salomos: «Viele Wasser können die Liebe nicht auslöschen, noch Ströme sie ertränken». Die 24-jährige Musikerin verarbeitet darin nicht nur das Kriegs-Trauma ihres Landes, sondern auch ihr eigenes – sie hat den Hamas-Angriff auf das Nova-Musikfestival im Oktober 2023 überlebt.
Raphaels Teilnahme wird wie keine andere sowohl von Zuspruch als auch von Protest begleitet. Am Donnerstagabend, kurz vor ihrem Auftritt im zweiten Halbfinale, fand vor der St. Jakobskirche. direkt bei der Halle, eine Solidaritätsaktion für Israel statt. Auch auf dem Münsterplatz gab es eine Demonstration gegen Antisemitismus. Zuvor war die israelische Teilnehmerin in den Proben durch pro-palästinensische Zwischenrufe gestört worden. Die Polizei intervenierte.
Yuval Raphael qualifizierte sich souverän für das Finale des Eurovision Song Contest, das am heute Abend (17. Mai) stattfindet. Gegen ihren Auftritt ist von pro-palästinensischen Aktivist:innen eine Protestaktion geplant. Evelyne Fürst meint dazu: «Wir stehen für den Frieden ein, für ein Leben ohne Konflikt und Gewalt und für einen Anlass, an dem alle teilnehmen können». Es bleibt zu hoffen, dass das Verständnis füreinander in alle Richtungen anhält.