Urs Brosi ist Kirchenrechtler und Generalsekretär der RKZ. Foto: zVg
Urs Brosi: «Kirche muss verlorenes Vertrauen zurückgewinnen»
Die Weltsynode ist vorbei. Doch die Arbeit geht weiter. RKZ-Generalsekretär Urs Brosi erklärt, was die Synode für die Schweiz bedeutet. Von den Bistümern und Pfarreien erwartet Brosi mehr Transparenz und Rechenschaft. Die neue Synodalitätskommission «soll sich auch um weltkirchliche Themen kümmern».
Annalena Müller
«pfarrblatt»: Was bedeutet das Synodenpapier für die Schweiz, Herr Brosi?
Urs Brosi: Es legitimiert Schweizer Kirchenpraktiken. Lange wurden westeuropäische Forderungen nach Reformen als Wohlstandsproblemchen abgetan. Die Kirche in der Schweiz und auch Deutschland lief, aus Perspektive der Weltkirche, lange neben der lehramtlich-aufrechten römischen Spur. Das Abschlusspapier der Synode wälzt aus Schweizer Perspektive zwar nicht die kirchliche Landschaft um – weil wir vieles schon lange so machen. Aber es gibt unserer Form, Kirche zu leben, eine andere Legitimation. Ein Beispiel: An der abschliessenden Medienkonferenz der Weltsynode berichtete Kardinal Mario Grech von seinem Besuch bei einem Gemeindeleiter-Ehepaar in der Schweiz im vergangenen Frühjahr. Er verwies auf die Erfahrung, um zu zeigen, welche Möglichkeiten der Mitverantwortung durch Laien es bereits in Teilen der Kirche gibt.
Trotzdem: An der Basis und in den deutschsprachigen Medien dominiert die Wahrnehmung des Stillstandes. An der Weltsynode wurden Fragen diskutiert und nicht entschieden, die in der Schweiz bereits vor 50 Jahren auf der «Synode 72» diskutiert wurden…
Brosi: Das ist so! Das Abschlusspapier ist für hiesige Verhältnisse keine Revolution. Gleichwohl enthält es Elemente, die auch bei uns noch nicht überall etabliert sind. Ich denke hier an die Fragen zur Transparenz und Rechenschaftspflicht, die in dem Dokument eine wesentliche Rolle spielen. Auch dass Pfarreiräte, Seelsorgeräte und andere Gremien mit sogenannten Laien und Laiinnen nicht mehr nur beratenden Funktion haben sollen, wäre etwas Neues.
Natürlich wurden diese Themen bereits im Anschluss an das Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) diskutiert. Aber man darf nicht vergessen, dass der Erlass des überarbeiteten Codex Iuris Canonici (CIC) 1983 diesen Diskussionen ein kirchenrechtliches Ende setzte. Im CIC wurde festgehalten, dass synodale Gremien nur Beratungs- aber eben keine Beschlusskompetenzen bekommen.
Das reaktionäre Pontifikat Johannes Paul II. (1978-2005) hat mit dem überarbeiteten CIC synodale Konzepte des Zweiten Vatikanischen Konzils zugunsten einer monarchischen Auffassung unterbunden …
Brosi: Genau. Vor diesem Hintergrund stellt das Synodenpapier ein Schritt hin zur Lockerung der strikten Auslegung der Pontifikate von Johannes Paul II. und auch Benedikt XVI. dar. Kirchenpolitisch ist das Dokument daher ein Meilenstein. Realpolitisch aber ist es trotzdem nicht der grosse Fortschritt, den die Kirche in Westeuropa dringend bräuchte.
Papst Franziskus hat den Abschlussbericht direkt approbiert. Was heisst das genau?
Brosi: Normalerweise verfasst der Papst nach einer Bischofssynode ein sogenanntes nachsynodales apostolischen Schreiben. Darin legt er fest, welche Inhalte aus der Beratung in die kirchlichen Gesetzgebungsverfahren einfliessen sollen. Üblicherweise gibt es also einen päpstlichen Filter nach einer Synode. Auf diesen Filter hat Papst Franziskus diesmal verzichtet.
Es ist also vor allem ein symbolischer Akt?
Brosi: Ja. Aber ich finde, es ist trotzdem ein wichtiges Zeichen. Es verleiht dem Synodenbericht und dem anschliessenden Gesetzgebungsprozess mehr Gewicht. Die direkte Approbation ist ein Signal an die zuständigen Gremien: Die Beschlüsse dieser Synode sollen ungefiltert und unbeschränkt im kirchlichen Gesetzgebungsprozess weitergehen. Besonders spannend erscheint mir, dass der Papst in seiner Abschlussrede dazu aufgerufen hat, einige der Beschlüsse direkt vor Ort umzusetzen. Wenn man das ernst nimmt, dann gehen die Ortskirchen gestärkt aus dem synodalen Prozess hervor.
Heisst das, die Synodalitätskommission, der Sie als RKZ-Generalsekretär auch angehören, bekommt mehr Gewicht?
Brosi: Aus meiner Sicht ja. Die Synodalitätskommission ist eine Einrichtung auf nationaler Ebene, um Synodalität zu erproben. Dass der Papst es für möglich hält, «gemeinsam in Vielfalt unterwegs zu sein, ohne einander zu verurteilen», ist Einladung, die Ideen hinter der Synodalitätskommission in diese Richtung zu erweitern und zu sagen: Diese Kommission soll sich auch um einige der weltkirchlichen Themen kümmern.
Die Synodalitätskommission hat sich im September konstituiert und trifft sich Anfang Dezember mit den Bischöfen zur ersten Synodalitätstag in Engelberg. Welche Themen stehen auf der Wunschliste der RKZ?
Brosi: Die RKZ hat keine Wunschliste, die es abzuarbeiten gilt. Aber natürlich gibt es die Leitlinien, die wir vor ein paar Jahren formuliert haben. Die Förderung der Frauen und die Vielfalt der kirchlichen Dienste sind zentrale Themen. Gleiches gilt für die Anerkennung der Realität, dass wir eine Kirche sind, die schon lange nicht mehr nur von Priestern repräsentiert und geleitet wird. Und, dass wir eine Kirche sind, die die Anliegen marginalisierter Gruppen – gleich ob finanziell oder sozial – vertritt und mit einbezieht.
Wo sehen Sie Synodalität und die Schweizer Kirche in fünf Jahren?
Brosi: Ich hoffe sehr, dass wir in fünf Jahren einen Teil des verlorenen Vertrauens wieder zurückgewinnen konnten. Und zwar, indem wir gute Antworten für die grossen Fragen finden, denen sich die Kirche stellen muss. Ich hoffe, dass wir Instrumente entwickelt und implementiert haben, die mehr Transparenz und Rechenschaftspflicht der Leitungsverantwortlichen gewährleisten. Ebenso bei der Mitwirkung des Volkes Gottes an Bischofswahlen und Ernennungen. Eventuell auch, indem Bischofswahlgremien überdacht und überarbeitet werden.
*Urs Brosi (*1965) ist Kirchenrechtler und seit 2022 Generalsekretär der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz (RKZ), dem Dachverband der Landeskirchen. Aufgabe der RKZ ist die Wahrnehmung der Aufgaben der katholischen Kirche auf gesamtschweizerischer Ebene.