
Religiöse Leitungspersonen sind oft Ansprechpersonen für verschiedene Anspruchsgruppen. Im Bild: Infoveranstaltung im buddhistischen Tempel im Haus der Religionen. Foto: Pia Neuenschwander
Religion trifft Staat: Ein Kurs für mehr Kompetenz
Wie gehen Imame mit schwierigen Medienanfragen um? An wen verweisen orthodoxe Pfarrpersonen ihre Mitglieder, die in Finanznot sind? Der Kanton Bern startet zusammen mit drei weiteren Kantonen ein Pilotprojekt in der Weiterbildung religiöser Leitungspersonen.
Sylvia Stam
Religiöse Leitungspersonen wie Hindupriester, christlich-orthodoxe Pfarrpersonen oder Vorstandmitglieder islamischer Moscheevereine sind auch Ansprechpersonen für Behörden, Schulen und Medien. Im Unterschied zu den öffentlich-rechtlich anerkannten Landeskirchen geschieht dies bei privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften meist ehrenamtlich. Die Leitungspersonen sind daher nicht unbedingt für solche Aufgaben geschult.
«Sie erhalten anspruchsvolle Medienanfragen zu schwierigen Themen, die bisweilen eine politische, oft auch internationale Dimension haben. Es ist wichtig, dass sie ihre Rechte kennen: Was darf ich gegenlesen? Darf ich eine Anfrage ablehnen?», erklärt David Leutwyler, Beauftragter für kirchliche und religiöse Angelegenheiten im Kanton Bern, gegenüber dem «pfarrblatt».
Finanzprobleme und Familienkonflikte
Darüber hinaus beraten religiöse Leitungspersonen auch ihre Mitglieder in bisweilen existenziellen Fragen. «Die Themen reichen von Finanzproblemen über familiäre Konflikte bis zum Umgang mit Todesfällen», erklärt Leutwyler. Da ist es hilfreich, wenn sie beispielsweise staatliche Anlaufstellen kennen, an die sie ihre Mitglieder verweisen können.

Um solchen Situationen zu begegnen, lancieren die Religionsfachstellen der Kantone Bern, Zürich, Solothurn und Basel-Stadt nun ein Pilotprojekt: An einem Weiterbildungstag erhalten Leitungspersonen – das können sowohl religiöse Leiter:innen wie Vorstandsmitglieder sein - einen Überblick über das Verhältnis von Staat und Religion in der Schweiz sowie praxisnahes Wissen zu Vereinsführung, Medienarbeit und Beratung. Zudem lernten sie Schlüsselpersonen anderer Religionsgemeinschaften kennen, heisst es in der Mitteilung der Direktion für Inneres und Justiz des Kantons Bern, bei der die Religionsfachstelle angesiedelt ist.
Start im Haus der Religionen
Die Weiterbildung, die bei gleichbleibendem Inhalt viermal stattfindet, wird zusammen mit der Interreligiösen Arbeitsgemeinschaft in der Schweiz (Iras Cotis) durchgeführt und vom Zentrum Religionsforschung der Universität Luzern wissenschaftlich begleitet. Der erste Kurstag findet am Samstag (3.5.) im Haus der Religionen in Bern statt. Angemeldet haben sich laut Mitteilung 40 Personen aus 20 verschiedenen Gemeinschaften, darunter lutherische, alevitische, hinduistische und islamische. Laut Leutwyler seien es vor allem Migrationsgemeinschaften. Vertreter:innen von katholischen Missionen und von Freikirchen, die seit langem in der Schweiz ansässig sind, seien nicht dabei, wären aber beide ebenso willkommen.
Thematische und regionale Ausweitung angedacht
«Wir haben noch einen Fundus an weiteren Themen», sagt Leutwyler auf Anfrage des «pfarrblatt», darunter auch Fragen zu «Nähe und Distanz», die man sich für künftige Weiterbildungen vorstellen kann. Auch eine Ausweitung auf andere Kantone sei denkbar. Die aktuelle Zusammensetzung sei aus einem seit längerem bestehenden informellen Austausch der vier Kantone entstanden.

Finanziert werden die Kurse von den vier Kantonen, dazu gehören viele Eigenleistungen der Fachstellen, sowie vom Bund. Für die Teilnehmenden sei der Kurstag kostenlos.
Mit dem Pilotprojekt reagierten die kantonalen Fachstellen auf einen grossen Bedarf, heisst es in der Mitteilung. Es trage ausserdem zu einer Reduktion der Ungleichbehandlungen im Vergleich mit den öffentlich-rechtlich anerkannten Religionsgemeinschaften bei, die über Kirchensteuern finanziert sind.
Reaktion auf den Berner Religionsbericht
2023 hatte der Kanton Bern einen Religionsbericht über Aktivitäten, Mitgliederzahlen und Strukturen der privatrechtlich organisierten Religionsgemeinschaften veröffentlicht. Dies mit dem Ziel, Schnittstellen zwischen Staat und Religion zu erkennen und daraus allfällige Aufgaben für den Kanton abzuleiten. Das Pilotprojekt ist eine erste Antwort auf diesen Bericht.
Nebst den drei Landeskirchen und der jüdischen Gemeinde gibt es im Kanton Bern über 300 weitere Religionsgemeinschaften, die nicht öffentlich-rechtlich anerkannt sind. Knapp die Hälfte sind christliche Freikirchen, dazu kommen muslimische, hinduistische, buddhistische und andere Gemeinschaften.