
Feuersglut – auch ein Symbol für die Dynamik von Pfingsten. Foto: Nada Müller
Pfingsten – Aufwind für die Demokratie
Pfingsten ist ein Fest der Demokratie. Unverlierbare Würde ist allen zugesagt. Jede:r kann Verantwortung übernehmen und sich allem Leben gegenüber respektvoll verhalten.
Felix Klingenbeck, Pfarreileiter Münsingen
Alle – das ist das Leitwort der biblischen Pfingstgeschichte. Alle haben einen guten Kern in sich, nicht nur ein paar Auserwählte. Alle können Verantwortung für eine gutes Miteinander übernehmen, nicht nur ein paar Exklusive.
Demokratien unter Druck
Der weltweite Demokratieindex, für welchen die britische Zeitschrift «The Economist» jährlich 167 Staaten analysiert, ist recht stabil. Dennoch ist es offensichtlich: Machthabende schaffen demokratische Errungenschaften ab. Sie missachten Verfassungen und richterliche Entscheide. Es wird Gewalt gegen Politiker:innen ausgeübt. Wahlen und Abstimmungen werden manipuliert. Demokratien an vielen Orten auf der Welt sind unter Druck. Darum ist es wichtig, Pfingsten zu feiern.
Demokratie ist Anstrengung
Demokratie entsteht nicht von allein. Sie erfordert Anstrengung und will weiterentwickelt sein. Als Beispiel das Stimmund Wahlrecht in der Schweiz. Es wurde 1848 in der Bundesverfassung verankert. Wählen und stimmen durften damals längst nicht alle: Ausgeschlossen waren neben den Frauen auch alle, die kein Geld hatten, die Steuerschulden hatten, die eine Straftat begangen hatten und im Kanton Bern z. B. zusätzlich auch alle, die irgendwo mit einem Wirtshausverbot belegt worden waren. Erst 1971 wurde das Frauenstimmrecht eingeführt. 1991 wurde das Stimm- und Wahlrechtsalter von 20 auf 18 Jahre gesenkt. Einzelne Kantone und Gemeinden führten das Stimmrecht für Ausländer:innen ein. Der Kanton Glarus kennt das Stimmalter ab dem 16. Lebensjahr. Demokratie will weiterentwickelt sein. Darum ist es gut, Pfingsten zu feiern.
Pfingsten in den Kirchen
In den Kirchen wird Pfingsten gefeiert – dass das Leben aller von einem Geist durchwirkt ist und so die unverlierbare Würde eines jeden Lebens betont wird. So, wie es die Schöpfungserzählungen vorzeichnen, dass die Menschen Ebenbilder Gottes sind in all ihren Ausprägungen (Geschlecht, Herkunft, Lebensform, Religion usw.). Gleichberechtigung, Beteiligung, Mitsprache und Gewaltentrennung sind von Pfingsten her Grundzüge für Organisationen. Demokratie ist eine den Kirchen angemessene Organisationsform. Darum ist es zentral, Pfingsten zu feiern.
Demokratie ist nicht beliebig
Gewiss, die Mehrheit hat nicht immer recht. Nur eine rechtmässige Demokratie hat ihre Basis in der Verfassung. Die Menschenrechte bilden eine unverzichtbare Leitplanke. Genauso wird das Wirken des pfingstlichen Geistes nicht einfach als beliebig umrissen. Diese pfingstliche Kraft ist da am Werk, wo Menschen wahrhaftig sind – das Johannesevangelium spricht vom Geist der Wahrheit. Diese pfingstliche Energie wirkt, wo Menschen Widerstand gegen Unrecht leisten – das Lukasevangelium erwähnt Mächtige, die vom Thron gestürzt werden. Diese pfingstliche Dynamik greift, wo Menschen sich am Wohl der Schwächsten orientieren – in der Antrittsrede von Jesus im Lukasevangelium ist die Rede von Gefangenen, die entlassen werden, und Zerschlagenen, die in Freiheit gesetzt werden. Religion ist nicht beliebig. Darum ist es unverzichtbar, Pfingsten zu feiern.
Pfingsten – ein Fest der Demokratie
Jede:r kann Verantwortung übernehmen. Alle haben Rechte und Pflichten. Es gibt eine grundsätzliche Gleichheit, Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit. Mitsprache, Mitbestimmung, demokratische Prozesse sind so dem Christentum gemässe Organisationsformen. Oder wie es Leonard Ragaz in seinem Kommentar zur Pfingstgeschichte (Die Bibel, IV, 10) schreibt: «Die Unmittelbarkeit des Verhältnisses zu Gott ist jedem Menschen gegeben und damit die Demokratie im Tiefsten gegründet.»