Oranger Bahnhofsengel
Tristan Billaud, 23, ist Bahnhofhelfer – ein ungewöhnlicher Nebenjob.
Tristan Billaud, 23, hat einen ungewöhnlichen Nebenjob. Als Bahnhofhelfer kümmert er sich um allein reisende Kinder, begleitet Blinde beim Umsteigen und führt auch mal seelsorgerliche Gespräche.
Von Anouk Hiedl
09.00: Im Hauptbahnhof Bern fährt mit kreischenden Bremsen ein Zug auf Gleis 3 ein. Die Türen öffnen sich, Menschenansammlungen entstehen. Zielgerichtet steuert Tristan Billaud eine Tür an. Einer der ersten aussteigenden Passagiere ist blind. Der junge Bahnhofhelfer mit der leuchtorangen Weste spricht ihn an, der Mann hakt sich bei ihm unter, und sie verlassen gemeinsam den Perron. Nach einem Zwischenstopp im Coop geht’s weiter zur Bushaltestelle beim Loebegge. «Das ist der blinde Masseur», erzählt Tristan später. «Er arbeitet in der Berner Altstadt. Unter der Woche begleitet ihn jemand von uns beim Transfer vom Zug zum Bus und umgekehrt. Wenn ich Zeit habe, begleite ich ihn zu Fuss zu seinem Arbeitsplatz, da er Spaziergänge sehr mag.»
09.20: Tristan ist zurück im Bahnhof und bereitet auf Perron 8 einen Rampenlift vor. «Auf jedem Perron stehen zwei dieser Mobilifte», erklärt er, «auch auf dem frisch gebauten Gleis 49/50. Bei der BLS und der RBS wurden die Bahnhöfe meist so gebaut, dass sich Perrons und Zugtüren auf der gleichen Höhe befinden. So können Rollstuhlfahrer*innen dort selbst ein- und aussteigen.» Der erwartete Zug kommt, und alles läuft wie am Schnürchen. Tristan begleitet den Rollstuhlfahrer auf Gleis 13 und hantiert auch dort wieder routiniert mit dem Mobilift, sodass der Passagier pünktlich um 09.36 Richtung Schwarzenburg davonfahren kann.
Sicher, sensibel, zuverlässig
Tristan studiert Volkswirtschaft, Philosophie und Psychologie. Daneben arbeitet er seit drei Jahren bei der Bahnhofhilfe Bern. «Damit bin ich hier fast der Dienstälteste», schmunzelt er. Ruhig und aufmerksam geht er auf seine Kund*innen ein, er macht seine Arbeit gut und gern. «Zu Menschen, die man regelmässig begleitet, entsteht eine Beziehung. Ich helfe ihnen gern dabei, im Bahnhof mobil zu sein. Diese Arbeit ist für mich sinnstiftend. Und sie ist ein guter Nebenverdienst.»
Die acht Teilzeitangestellten der Bahnhofhilfe Bern arbeiten je zehn bis 15 Stunden pro Woche im Schichtbetrieb. «Alle sind zuverlässig und sensibel im Umgang mit Menschen aller Art. Mit ihrem sicheren Auftreten können sie sich auf einem gedrängten Perron falls nötig auch mal durchsetzen», sagt Toni Hodel, Delegierter der Bahnhofhilfe. «In solchen Situationen und auch in Notfällen hilft mir die orange Weste. Dank dieser Uniform können wir automatisch mehr machen. Die Menschen trauen uns etwas zu und schätzen es auch, dass wir Verantwortung übernehmen, zum Beispiel bei einem epileptischen Anfall», ergänzt Tristan.
Zu den regelmässigen Kund*innen der Bahnhofhilfe gehören unter anderem körperlich beeinträchtigte und geistig behinderte Personen, die zur Arbeit, ins Heim oder nach Hause fahren. Auch ältere, gebrechliche und erschöpfte Menschen sowie allein reisende Kinder können sich für kostenlose Unterstützung beim Reisen anmelden, online oder per Mail im Voraus oder spontan per Telefon. Wenn keine Aufträge anstehen, patrouilliert Tristan im Bahnhof Bern. Dabei sieht er viel, hilft weiter und greift nur im Notfall ein. Menschen, die Mühe mit dem Billettautomaten haben, geht er zur Hand. Einen Penner, der auf Abfallkübeln Schlagzeug spielt, lässt er in Ruhe. «Es gibt auch Leute, die einfach mal sprechen müssen. Die nehme ich mit ins Büro. Hier bleiben wir dann bis zu zwei Stunden lang. Da mache ich auch etwas Seelsorge.»
Die SOS Bahnhofhilfe hat sich aus einer Dienstleistung des Kantonalvereins Pro Filia heraus entwickelt. An acht Bahnhöfen – in Bern, Biel, Chiasso, Genf, Luzern, Olten und Zürich – unterstützt sie hilfebedürftige Zugreisende kompetent und unentgeltlich.
Weitere Infos:
www.bahnhofhilfe.ch
Die Bahnhofhilfe wird von den SBB und über Spenden finanziert:
Kantonalverein Pro Filia Bern, Berner Kantonalbank, 3011 Bern
IBAN: CH68 0079 0016 9722 7806 8