Andreas Knapp sprach im Mai in Luzern über zeitgemässes Reden von Gott.

«Mit tastender Sprache über Gott reden»

Gespräch mit Andreas Knapp über die Rede von Gott in einer säkularisierten Welt


Interview und Foto: Sylvia Stam

«pfarrblatt»: Viele Menschen verstehen das Wort Gott nicht mehr. Können Sie es erklären?

Andreas Knapp*: Ich würde auf Erfahrungen zurückgreifen: die Erfahrung von Liebe, von Freundschaft, von Vergänglichkeit. Wir finden uns in einer Welt vor, die wir selbst nicht gemacht haben. Daraus ergeben sich Fragen: Wem verdanken wir das Leben? Wem verdanken wir diese Welt? Wer ist denn der Ursprung dieser Welt? Solche Fragen können die Basis für ein Gespräch über Gott bilden.

Sie leben in einer weitgehend säkularen Umgebung in Leipzig. Begegnen Sie Gott da trotzdem?

Ja, Gott ist überall, unter anderen Namen. Er ist dort, wo Menschen sich füreinander öffnen, wo Freundschaften entstehen. Und die gibt es auch in meiner ganz säkularen Nachbarschaft. Vielleicht haben die Menschen dort nicht das Wort dafür. Aber das, was wir hier leben und tun, was für uns wichtig ist, das nennt die Religion Gott oder den Willen Gottes.

Von Ihnen stammt der Satz: «Das Wort Gott leidet an Schwindsucht.» Ist das schlimm, wenn Gott dennoch überall ist?

Es ist auf jeden Fall bedenkenswert. Denn es bedeutet, dass viele Menschen für dieses Grössere, für die Hoffnung, keine Worte und keine Bilder mehr haben. Ohne Rückbezug auf etwas Grösseres verlieren wir etwas Urmenschliches.

Nämlich?

Wenn wir das Wort Gott verlieren, riskieren wir, die Sensibilität für das Menschliche zu verlieren. Wenn es nur noch darum geht, möglichst viel zu verdienen und das Leben möglichst lustvoll und vergnügungsreich zu gestalten, dann bleiben ganz viele Menschen auf der Strecke: Was ist mit der Gerechtigkeit? Was ist mit der Solidarität? Solche Worte finden in einer rein innerweltlichen Philosophie keine Begründung. Was ist der Mensch, wenn es Gott nicht mehr gibt? Wenn Gott keine Rolle mehr spielt, dann gibt es auch das Menschliche im Sinne von Gerechtigkeit, Solidarität, Nächstenliebe nicht mehr.

Reicht es nicht, wenn ich diese Werte in meinem Leben umsetze? Ist es nötig, von Gott zu sprechen?

Wir handeln nur, wenn wir Motive zum Handeln haben. Wenn diese Motive keinen religiösen Untergrund mehr haben, dann fallen sie oft weg. Natürlich gibt es die Menschenrechte und in vielen europäischen Ländern ein Sozialsystem, um Gerechtigkeit zu verwirklichen. Über viele Jahrhunderte waren es christliche Impulse, die zu diesen Sozialsystemen geführt haben. Wenn dieser christliche Hintergrund wegfällt, wie entwickelt sich dann die Solidarität der Gesellschaft weiter? An Orten, wo sich heute schon andere Ideologien breitmachen, fallen Grundwerte wie Gerechtigkeit oder Solidarität schnell weg.

Sie sind Dichter und Priester. Sind Ihre Gedichte demnach Gebete?

Nicht automatisch, aber sie kommen oft aus dem Gebet und sie können auch zum Gebet hinführen. Alle Gebete sind in lyrischer Sprache verfasst. Es sind keine Gebrauchsanweisungen, keine Definitionen, sondern sie richten sich an etwas Grösseres, Göttliches. Sie bringen das zum Ausdruck, was Menschen empfinden, wonach sie sich sehnen, was sie sich erhoffen. Das kann man nur in lyrischer Sprache zum Ausdruck bringen. Deswegen sind alle Gebete Dichtung und in der Dichtung finden sich auch immer Parallelen zum Gebet.

In der Lyrik kann man auch «zwischen den Zeilen» lesen. Ist das ein Grund, warum Sie in Gedichten über Gott sprechen?

Man kann über Gott nur in einer tastenden Sprache reden. In einer Sprache, wo etwas mitschwingt, das man gar nicht so leicht in Worte fassen kann. Die Sprache der Dichtung will nicht definieren, was ja wörtlich «begrenzen» bedeutet. Sie will vielmehr öffnen und weiten. Sie will Menschen berühren, zum Nachdenken bewegen und auf tiefere Schichten der Sprache und der Welt hinweisen. Deswegen ist Lyrik auch eine passende Form, um sich dem Geheimnis Gottes anzunähern.