Sibylle Hardegger, Präsidentin der Kinderhilfe Bethlehem, vor Ort in Bethlehem. Foto: zVg

Kinderhilfe Bethlehem: «Jedes Kind hat ein Recht auf Gesundheit»

Sibylle Hardegger ist seit zehn Jahren die Präsidentin der Kinderhilfe Bethlehem. Das schweizerisch-deutsche Hilfswerk betreibt das Caritas Baby Hospital im Westjordanland. Das Projekt wird unterstützt von einem Hilfspaket, das die Katholische Kirche Region Bern im Dezember 2024 für den Nahen Osten eingerichtet hat.


Christian Geltinger* 

Sie sind seit zehn Jahren Delegierte des Bistums Basel und Präsidentin der Kinderhilfe Bethlehem. Was muss man für dieses Amt mitbringen?

Sibylle Hardegger: Mein Vorgänger war Priester, ich selbst bin Theologin, es gab aber auch schon Menschen mit einem anderen beruflichen Hintergrund in diesem Amt. Bischof Felix sagte mir damals, er suche eine Person, die mehrere Sprachen spricht und gerne reist, die ein gewisses diplomatisches Geschick mitbringt, wenn es darum geht, mit Botschaften, Regierungen oder kirchlichen Würdenträgern zu verhandeln, und die zupackend und furchtlos ist. Er sagte mir damals, allein die Reise nach Bethlehem sei jedes Mal ein «Abenteuer» und man wisse nie, ob man ankommt.

Wie verlaufen die Beziehungen vor Ort? Wer sind Ihre unmittelbaren Ansprechpartner?

Hardegger: Wir sind in einem guten Austausch mit dem Gesundheitsministerium der Autonomiebehörde und den anderen Spitälern sowie der Universität Bethlehem. Mit den diplomatischen Vertretungen der Schweiz und Deutschland vor Ort und kirchlicherseites mit dem Patriarachen Pierbattista Pizzaballa. 

Besteht vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern die Gefahr, in politische Loyalitätskonflikte zu geraten?

Hardegger: Für uns gilt: Jedes Kind hat ein Recht auf Gesundheit. Wir schauen weder auf die Herkunft noch auf die Religionszugehörigkeit und verhalten uns politisch neutral. Das wird auch von unseren Partnern akzeptiert. De facto leben im Einzugsgebiet des Spitals keine israelischen Familien. Wir würden deren Kinder aber selbstverständlich behandeln. Ausserdem haben wir auch gute Kontakte zu israelischen Spitälern, zum Beispiel wenn es um Weiterbildungen von Fachpersonal geht.

 


Spielen religiöse Unterschiede im Klinikalltag eine Rolle?

Hardegger: Unser Personal besteht überwiegend aus muslimischen und christlichen Mitarbeitenden. Wer bei uns arbeitet oder behandelt wird, muss akzeptieren, dass das Spital einen christlichen Hintergrund hat. Die muslimischen Frauen tragen in der Regel Kopftuch. Wir möchten allerdings nicht, dass Frauen komplett verschleiert sind. Wir feiern gemeinsam das Fastenbrechen genauso wie das Weihnachtsfest und haben seelsorgerische Angebote von und für Christ:innen und Muslime. Eine interreligiöse Begegnung auf Augenhöhe ist für uns selbstverständlich.

Hat der Krieg die Arbeit in der Klinik verändert?

Hardegger: Wir haben früh genug vorgesorgt, haben Diesel angekauft und Vorräte angelegt. Zu Kriegszeiten ist die Belegung tendenziell eher zurückgegangen, weil die Mobilität der Menschen auf Grund von Strassensperren stark eingeschränkt ist.

Die Kinderhilfe Bethlehem sammelt allein in der Schweiz im Jahr 6 Millionen Franken. In der Zwischenzeit konnte der Grundstein für ein weiteres Gebäude des Caritas Baby Hospitals gelegt werden. Was sind die Behandlungsschwerpunkte des Hospitals?

Hardegger: Wir gewährleisten in erster Linie eine umfassende Grundversorgung von Kindern und ihren Müttern. Das fängt unmittelbar nach der Geburt an. Die Krankheitsrate von Babys ist im Nahen Osten deutlich erhöht. Gleichzeitig ist es uns wichtig, die Mütter zu stärken und ihnen das nötige Knowhow in puncto Selbstwirksamkeit zu vermitteln. Darüber hinaus haben wir eine umfangreiche Intensivmedizin und einen grossen neurologischen und pulmologischen Bereich, in dem vor allem Kindern mit genetisch bedingten Krankheiten geholfen wird.

Was kostet eine Behandlung im Spital?

Hardegger: Natürlich sind unsere Leistungen nicht komplett umsonst. Allein spendenbasiert könnten wir den laufenden Betrieb unseres Krankenhauses nicht finanzieren. Es gibt durchaus auch Menschen, die sich das leisten können. Wir haben ein sozialgerechtes Tarifsystem, das sich an die marktüblichen Preise anlehnt. Daneben gibt es einen Sozialdienst im Kinderspital, der sehr gut einschätzen kann, wer eine finanzielle Unterstützung braucht.

Wie hat sich die Arbeit der Kinderhilfe Bethlehem in den letzten Jahren verändert?

Hardegger: Mir ist das Thema Empowerment ein Anliegen. Wir bekommen nach wie vor sehr viel finanzielle Unterstützung. Es ist aber auch wichtig, dass sich die geschaffene Struktur perspektivisch zumindest zu einem Teil selbst trägt. Alles andere fände ich kolonialistisch.

Vereinfacht gefragt: Wie wird aus einem Hilfsprojekt ein Unternehmen?

Hardegger: Wir bieten seit einigen Jahren Dienstleistungen für andere Spitäler an. Da der Standard unseres Hospitals den Massstäben der Schweiz entspricht, haben wir bereits in der Vergangenheit alle Corona-Tests für die Region durchgeführt. Das wollen wir ausbauen. Mein Ziel wäre es, dass sich das Hospital eines Tages zu 40 Prozent selbst finanziert. Damit werden Gelder frei für neue Projekte.


*Christian Geltinger ist Leiter Kommunikation des Pastoralraums Bern.