Auf der Bundesterrasse erinnert Roger an das frühere Drogenelend. Foto: Ashley Azhikannickal
Im Schatten von Berns Gassen
Stadtführung mit dem Surprise-Verkäufer Roger
Man trifft sie am Hauptbahnhof Bern und anderen stark frequentierten Orten. In der Hektik werden sie jedoch oft kaum wahrgenommen: die Surprise-Verkäufer:innen. Einer von ihnen ist Roger. Auf einer Stadtführung zeigte er Studierenden Bern aus seiner Sicht.
Ashley Azhikannickal, aki Bern
Das Semesterprogramm der katholischen Hochschulseelsorge aki hatte unter dem Motto «MAKRO mikro» zum Ziel, den Alltag aus verschiedenen Blickwinkeln zu betrachten. Dazu fand am 23. Mai eine besondere Stadtführung mit Roger vom Verein «Surprise» statt. Anhand verschiedener Stationen in der Berner Innenstadt erzählte er uns aus seinem Leben.
Die Führung begann in der Notschlafstelle und Gassenküche des Vereins «Sleeper». Dort geniesst Roger die Gespräche mit den Menschen, die ein- und ausgehen, dort ist er mehr als ein Randständiger.
Weiter ging’s zur Terrasse des Bundeshauses, die an diesem sonnigen Tag gut besucht war. Roger zeigte uns erschütternde Bilder der Bundesterrasse aus den 1980er Jahren. Sie zeigten die offene Berner Drogenszene, Verhältnisse, die man sich heute kaum mehr vorstellen kann. Roger erzählte, wie er jene Zeit, in der er selbst Drogen konsumierte, erlebt hatte.
Nach politischen Interventionen verschob sich die Szene in den Kocherpark. Dort half Roger im Auftrag der Behörden mit, die Situation der Abhängigen zu verbessern, und verteilte beispielsweise saubere Spritzen. In dieser Zeit hatte Roger ein festes Einkommen und konnte es sich sogar leisten, einige Male in die Ferien zu fliegen.
Mit dem Ende dieses Projekts ging auch seine Anstellung zu Ende. Ohne festes Einkommen nahm sein Leben noch einige Wendungen, die ein ganzes Buch füllen würden.
In der Nähe der Münstergasse zeigte uns Roger ein öffentliches WC, wo die Obdachlosen kältere Nächte verbringen – gemäss Roger «die günstigste Ein-Zimmer-Wohnung der Schweiz».
Seine berührende Führung regte zum Nachdenken an. Trotz seiner Lebensumstände hat Roger nie seinen Humor verloren. Ich lernte, meine Lebenssituation mit ihren Höhen und Tiefen besser wertzuschätzen. Roger ist viel mehr als ein Surprise-Verkäufer und Stadtführer. Er ist ein Kämpfer.
Wenn Sie das nächste Mal ein Surprise-Magazin angeboten bekommen, lassen Sie sich auf Ihr Gegenüber ein. Hinter den Surprise-Verkäufer:innen verbirgt sich mehr, als Sie denken.