Jubiläum Konzil von Nicäa: Gemeinsam für den Glauben?

29.05.2025

Die Kirche feiert heuer ein ganz besonderes Jubiläum: 1700 Jahre sind seit dem Beginn des ersten Ökumenischen Konzils von Nicäa vergangen. Warum ist dieses Konzil überhaupt erinnernswert?


Michael Hartlieb

Dass wir uns heute an Nicäa erinnern, hat zwei Gründen: Zum einen steht das Konzil für einen zentralen kirchlichen Richtungsentscheid, der bis unsere Gegenwart Auswirkungen hat. Zum anderen werden auf dem Konzil Aussagen zur Glaubenslehre getroffen, die seitdem im christlichen Glaubensbekenntnis zentral stehen. Dazu später mehr.

Ein folgenreicher Anlass

Schauen wir zuerst auf den Anlass, der zur Einberufung des Konzils im Jahr 325 führte. Erste Überraschung: Einberufen wurde es nicht, wie wir es zweifellos erwarten würden, vom Papst in Rom, sondern vom römischen Kaiser Konstantin, der im Jahr zuvor Alleinherrscher über das römische Reich geworden war. Konstantin beendete die Christenverfolgungen des frühen vierten Jahrhunderts und protegierte die Kirche immer stärker mit Privilegien; dem Kaiser schien daran gelegen zu sein, die wiederhergestellte Einheit des Reiches auch durch eine Einheit der Kirche zu symbolisieren. Zweite Überraschung: Der Anlass zum Konzil war somit vorrangig politischer und dann erst theologischer Natur. Denn das Konzil war keine Fachkonferenz zum ergebnisoffenen Austausch elaborierter theologischer Argumente, sondern es hatte einen klaren kaiserlichen Auftrag: Die scharfen theologischen Differenzen zum Verständnis von Jesus Christus zu klären und die Einheit der Christenheit wiederherzustellen. Dritte Überraschung: Das Konzil wird zwar ökumenisch genannt, Teilnehmer waren aber fast ausschliesslich Bischöfe aus dem Osten – man geht von ca. 2-300 Bischöfen aus, die jeweils noch zwei Presbyter (heute: Priester) und drei Diakone mitbringen durften. Es versammelten sich also um die 2000 Personen in Nicäa, das sich heute im Grossraum Istanbul befindet. Nicht mehr überraschend nach dem bisher gesagten: Eröffnet und finanziert wurde das Konzil durch den Kaiser.

Eine Frage der Einheit

Im Zentrum der Auseinandersetzungen steht die Frage, wie man sich die Gottessohnschaft Jesus Christus eigentlich genau vorzustellen habe und wie somit der innerste Glaubenskern des Christentums beschaffen ist. Um die theologischen Differenzen der Zeit nachvollziehen zu können, muss man sich dabei verschiedene Grundüberzeugungen der damaligen Zeit vor Augen halten: 

Gott existiert
Dass es Gott (oder Götter) gibt, war für die Menschen der Antike keine Frage. Gott war etwas unzweifelhaft Da-Seiendes der Wirklichkeit, allenfalls konnten sich die Gelehrten darüber streiten, wie undurchdringlich oder wie transparent der Schleier zwischen der diesseitigen und der jenseitigen Welt war.

Die Substanz der Dinge bestimmt über ihr Dasein
Die Streitigkeiten sind nicht zu verstehen ohne ein wenig antiken philosophischen Background. Beschreiben wir heute einen Menschen, benutzen wir naturwissenschaftliche Begriffe. Wir reden von den Genen eines Menschen, von seinem biologischen Aufbau und verorten seinen Geist in den komplizierten neuronalen Verschaltungen seines Gehirns. Davon hatten die Theologen und Philosophen der Antike noch überhaupt keine Vorstellung. Sie teilten vielmehr die Überzeugungen, die im Grundsatz von Platon und Aristoteles entwickelt worden waren: Für sie liegt allem menschlichen Dasein die gleiche „Substanz“ zugrunde, was wir auch zur leichteren Verständlichkeit mit „menschlicher Natur“ übersetzen können. Individuell werden die Menschen dadurch, dass sie unterschiedliche „Attribute“ ausbilden – eine Frau blaue Augen hat und eher klein gewachsen ist, während eine andere braune Augen hat und andere überragt. Diese Substanz ist für uns Menschen unsichtbar, wir sehen allein die Attribute.

Nun glauben die Christ:innen daran, dass Jesus aus Nazareth Gottes Sohn ist – und die scharfsinnigen Theologen der Zeit fragen sich: Wie soll das gehen? Wie sollen in einem Menschen sowohl die Substanz „Mensch“ als auch die Substanz „Gott“ zusammenpassen: 

  • Ist nicht die Substanz Gott soviel grösser als die Substanz Mensch und wird sie somit gleichsam absorbiert?
  • Wenn es doch geht: Ab wann trägt Jesus diese beide Substanzen in sich, wenn er doch Gott ist, aber erst zu einem bestimmten Zeitpunkt als Mensch auf die Welt kommt?
  • Noch spitzfindiger: Ist Jesus in gleichem Masse Gott wie der Schöpfergott, wenn er womöglich erst zu einem Zeitpunkt X (z.B. bei der Taufe Jesu, wie es die Evangelien nahe legen) von Gott „adoptiert“ wird?
  • Überhaupt: Was ist denn mit dem Glauben an einen Gott, wenn die Substanz „Gott“ mit dem Schöpfergott, Jesus Christus und sogar dem Heiligen Geist plötzlich mehrfach vorkommt?       

So oder so ähnlich lassen sich die theologischen Grundprobleme der Zeit und mit ihnen verschiedene Gruppierungen mit ihren bis heute bekannten Vertretenden beschreiben.

Wichtige Ergebnisse des Konzils

Um den Presbyter Arius versammelt sich beim Konzil eine Gruppe, die an eine starken Ein-Gott-Glauben festhält: Für sie ist allein der Schöpfergott wahrer Gott, Jesus Christus ist eine zwar einzigartige, aber dennoch „nur“ geschaffene Kreatur; gleiches gilt für den Heiligen Geist. Theologisch gesprochen: Arius und seine Anhänger lehnen die Wesensgleichheit von Jesus Christus mit Gott ab. Entsprechend hat es für Arius und seine Gruppe eine Zeit gegeben, in der Jesus Christus noch nicht existiert hat, was im gleichen Atemzug eine gewisse Unterordnung Jesu Christi unter Gott impliziert. Was auf den ersten Blick wie ein theologisches Glasperlenspiel anmutet, bringt riesige Probleme für den Glauben mit sich – zumindest aus Sicht der Gegner des Arius: Jesus Christus wäre kein Gott, sondern „nur“ ein ganz besonderes Wesen. Auch stellen die Kritiker in Frage, ob es mit Arius‘ Christusvorstellung überhaupt eine Erlösung durch das Kreuz geben kann. Bereits ganz frühe Christ:innen glauben, dass der Sohn Gottes, Jesus Christus, für die Sünden der Menschen am Kreuz gestorben ist – und dieser Glaube soll nun hinfällig sein?

Der Gegenvorschlag der Kritiker Arius‘ lautet, Jesus Christus als wesensgleich oder wesenseins (im griechischen Original: ‚homooúsios‘) mit dem Vater zu verstehen. Das bedeutet, dass Jesus Christus die gleiche Substanz hat wie der Schöpfergott. Wie aber ist das Verhältnis von Vater und Sohn zu beschreiben, wenn man nicht eine problematische Unterordnung wie die Arianer feststellen will? Man kommt auf die theologisch spitzfindige Wendung, dass Jesus Christus wesensgleich dem Vater und zugleich aus dem Wesen des Vaters gezeugt ist, Gezeugt, wohlgemerkt, und nicht geschaffen wie wir Wesen der „normalen“ Schöpfung.

Überspitzt formuliert könnte man sagen: Erst mit dem Konzil von Nicäa wird Jesu Christus auch unter den rationalen Gesichtspunkten der damaligen Philosophie verbindlich zu Gott. Denn nun ist philosophisch einigermassen sinnvoll und nachvollziehbar ausgedrückt, was davor – aus Sicht der Menschen der Antike – vorrangig nur geglaubt werden konnte. Die Streitigkeiten sind damit aber noch nicht vorbei. Es wird noch einige weitere Konzile brauchen, bis die offen gebliebenen Fragen halbwegs theologisch geklärt sind: Wie steht es mit der Dreifaltigkeit und mit der Rolle Mariens als „Gottesgebärerin“? Mit welchen Formulierungen lässt sich ein Glaubensbekenntnis schreiben, auf dass sich alle Christ:innen einigen können? Wie verhält es sich mit der göttlichen und der menschlichen Natur in Jesus Christus?

Jesus heute, für uns?

Mit seiner Verfahrensweise wird das Konzil von Nizäa stilbildend für die weitere (und keineswegs immer harmonische) Klärung theologischer Sachfragen unter dem politischen Druck des kaiserlichen Systems. In den vergangenen Jahrzehnten sind das Konzil und seine Nachfolger deshalb auch sehr kritisch reflektiert worden. Die Einheit der Kirche mit ihrem Glauben an den einen Gott findet ihre imperiale Entsprechung nun immer stärker in einem weltlichen Reich mit einem Kaiser an der Spitze und umgekehrt. Das charismatische Christentum der Anfangsjahrhunderte, das sich auf die Lehren des Wanderpredigers Jesus von Nazareth berufen hatte, hätte wohl mit grosser Ablehnung auf die entstehende Reichskirche reagiert, die mit der Zeit immer stärker die Insignien des Kaisertums kopierte.

Vielleicht noch problematischer: Die radikale und lebensverändernde Botschaft Jesu von Nazareth geriet im reichskirchlichen Prunk und in der diamanthart funkelnden Theologie zu sehr aus dem Blick. Vergessen ging damit über die Jahrtausende im festgefügten Glaubensbekenntnis eine Frage, die sich alle Christ:innen selbst immer wieder stellen müssen: Wer ist dieser Jesus für uns, heute?