
Die ehemalige Berner Grossrätin Dorothea Loosli macht auf die soziale Dimension des Fastens aufmerksam. Foto: lobe.photo
Fasten soll uns «doch auch Freude machen»
Fasten hat laut Dorothea Loosli auch eine soziale Dimension: Sie mache solidarisch und empfänglich für die Not von Anderen.
Die kirchlichen Hilfswerke «Fastenopfer» und «Brot für alle» begleiten in der Fastenzeit Menschen beim Fasten. Im Interview erklärt die Theologin und Fastengruppen-Koordinatorin Dorothea Loosli, Fasten mache solidarisch und empfänglich für die Not von anderen.
Sie haben selber eine Fastengruppe begleitet und diese eine Woche lang täglich getroffen. Was hat Sie am meisten beeindruckt?
Unter den Teilnehmenden ist eine riesige Solidarität entstanden. Zu sehen, dass auch andere mit denselben Dingen zu kämpfen hatten, hat die Fastenden sehr verbunden. Dass es noch etwas gibt, was für sie ohne Gruppe nicht möglich gewesen wäre, empfanden viele als schöne Erfahrung – dies im Gegensatz zu unserem häufigen Hang zum Individualismus.
Wie sieht es mit der Verbundenheit nach aussen aus?
Die ganze Wahrnehmung wird sensibler. Ein Teilnehmer hat erzählt: «Ich bin heute an der Bäckerei vorbeigefahren, es hat so fein nach frischen Brötchen geduftet! Aber ich muss ja nur eine Woche verzichten. Da ist mir bewusst geworden, was Hunger haben für Menschen in armen Ländern bedeuten muss.» Sie kämpfen jeden Tag ums Überleben und können nicht einfach – wenn nicht jetzt, dann eben nächste Woche – ihren Hunger stillen.
Weshalb greifen «Fastenopfer» und «Brot für alle» denn das Fasten auf?
Die beiden Werke beschäftigen sich stark mit dem Recht auf Nahrung. Fasten sensibilisiert uns für unser Essverhalten. In den Fastengruppen versuche ich zu zeigen, wie unser Konsum die Lebensbedingungen in anderen Ländern beeinflusst. Wir konsumieren Pouletbrüstchen und werfen den Rest des Huhns mit Exportsubventionen auf fremde Märkte, wo sie den lokalen Markt kaputtmachen. Solche Zusammenhänge sind den Fastenden oft nicht bewusst.
Sie sprechen grundsätzlich den Stellenwert der Nahrung an.
Ja. In Kolumbien habe ich einen vertriebenen Bauern getroffen. Auf schlechtem Boden musste er etwas aufbauen. Er erzählte mir, er sei immer bereit gewesen, einen Teil von seiner Sojaernte an Europa abzugeben – schliesslich müsse doch auch Europa Hunger haben. Sein Sohn habe nun im Internet gelesen, dass wir Unmengen an Soja für Tierfutter brauchen – nur, um Fleisch essen zu können. Das mache ihn unendlich traurig, er fühle sich hintergangen.
Die beiden kirchlichen Hilfswerke haben im letzten Jahr fast 100 Fastengruppen begleitetet. Wie erklären Sie sich das grosse Interesse fürs Fasten?
Wir rennen oft wie im Hamsterrad, müssen immer mehr Leistung erbringen. Die Suche nach etwas, das uns entschleunigt, bringt sicher viele auf das Fasten. Andere wiederum fasten, weil Sie zu viel Gewicht haben. So lässt sich Ballast abwerfen – körperlich, aber eben auch geistig. Während des Fastens gelingt es mir oft besser, Dinge loszulassen oder abzuschliessen. Es gibt mir Sicherheit, zu merken, dass ich ein paar Tage ohne Essen auskomme. Ausserdem ruht der ganze Verdauungstrakt. Das setzt ungeahnte Energie frei, die ich nicht für die Verdauung aufwenden muss.
Würde uns allen «ein bisschen» Fasten denn gut tun?
Es muss unbedingt ein freiwilliger Verzicht sein. Es soll uns doch auch Freude machen! Und es zeigt sich: viele Leute sind sehr angetan von einem genügsamen Leben, sie fangen an, über eine gerechtere Welt nachzudenken, vielleicht sogar über alternative Wirtschaftsformen. Solche Gedanken, die das Wohl von anderen berücksichtigen, finde ich sehr wertvoll.
Interview: Madlaina Lippuner/Fastenopfer
Ökumenische Kampagne in der Fastenzeit
Katholisches Hilfswerk Fastenopfer