Blick übers ehemalige Nizäa. Foto: Gregor Emmenegger

«Es gibt kein Patentrezept für das Verhältnis von Kirche und Staat»

Das Konzil von Nizäa ist vor allem für sein Glaubensbekenntnis bekannt. Aber es hat auch kirchenpolitisch grosse Bedeutung. Der Kirchenhistoriker Gregor Emmenegger im Gespräch.


Interview: Elisabeth Zschiedrich

«pfarrblatt»: Sie kommen gerade von einer Reise nach Nizäa, dem heutigen Iznik in der Türkei, zurück. Was gibt es heute dort zu sehen? 

Gregor Emmenegger: Aus Konstantins Tagen sind nur die wuchtigen Stadtmauern erhalten. Alles andere ist überbaut oder im See versunken. Aber I· znik liegt traumhaft schön. Wer dort ist, begreift sofort, warum der Kaiser hier Ferien machte und ein Konzil zusammenrief. 

In seinem Sommersitz trafen sich im Jahr 325 mehr als 200 Bischöfe und Kleriker. Warum? 

Emmenegger: Das Römische Reich stand damals an einem Wendepunkt. Konstantin hatte gerade seine Rivalen besiegt und die Oberhoheit über das bisher geteilte Reich errungen. Nun war es sehr wichtig für ihn, die Christ:innen auf seine Seite zu bringen. Das Christentum war im Römischen Reich lange verboten gewesen, aber Konstantin erlaubte es im Jahr 313. Mit dem Konzil von 325 ging er noch einen Schritt weiter: Er wollte den christlich Gläubigen zeigen, was es bedeutete, nun einer offiziellen Religion anzugehören. 

Was bedeutete das? 

Emmenegger: Für die Römer war Religion keine Glaubensgemeinschaft. Es ging ihnen um Loyalität. Religion war Tempel und Kult. Mit der Teilnahme drückte man die eigene Verbindung zu Vorgenerationen, Kaiser, Reich und zu den Göttern aus. Religion war sehr stark mit Politik verbunden. Das sollte jetzt auch für das Christentum gelten. 

Eine ungewohnte Vorstellung für die Christ:innen von damals. 

Emmenegger: Ja. Die christlichen Gemeinschaften lebten von Anfang an mit der Gewissheit, dass das Reich Gottes nicht von dieser Welt ist. Genau das war aber Konstantins Problem. Sein Reich sollte das Reich Gottes sein. Also zeigte er sich als Schiedsrichter in theologischen Fragen und inszenierte sich als Herr über die Bischöfe. So wollte er die christliche Kirche in seinen Machtapparat integrieren. 
 


Wenn heute an das Erste Konzil von Nizäa erinnert wird, geht es meist um das Glaubensbekenntnis, auf das man sich dort geeinigt hat. 

Emmenegger: Beim Konzil wurden viele Themen behandelt, aber dieser theologische Aspekt ist der bekannteste. Es ging dabei um einen Streit, der schon lange im Christentum schwelte, nämlich um die Frage: Wer begegnet mir eigentlich, wenn ich Christus begegne? Es gibt nur einen Gott, aber Jesus Christus ist der Herr und der Sohn Gottes – so steht es in der Bibel. Wie aber kriege ich das zusammen? Darauf gab das Konzil eine Antwort. 

Welche? 

Emmenegger: Die Bischöfe einigten sich darauf, dass mir in der Gestalt Jesu Gott selbst begegnet. Im Nizänischen Glaubensbekenntnis heisst es auf Griechisch, der Sohn Gottes sei «homoousios», das bedeutet «wesensgleich» mit dem Vater. Es gab eine Gegenposition, die eine Rangordnung zwischen Vater und Sohn propagierte. Der bekannteste Vertreter dieser Position war der Theologe Arius. Ihm zufolge war Jesus zwar Gott, aber er war ein zweiter, geschaffener Gott. 

Das Wort «homoousios» kommt aus der Philosophie, es steht nicht in der Bibel. 

Emmenegger: Ja, es ist interessant, dass die Bischöfe auf dem Konzil dieses Wort verwendeten. Das war letztlich auch eine Art Forschungsfreigabe: Ich darf nicht-biblische Wendungen, philosophische Begrifflichkeiten brauchen, um Theologie zu betreiben. 

War Kaiser Konstantin an dem theologischen Streit inhaltlich interessiert? 

Emmenegger: Ja, und der Streit kam ihm gelegen. Es war ursprünglich ein Theologen-Gezänk in Ägypten, in Alexandria. Konstantin machte daraus eine Staatsaffäre. Eine Stellungnahme in diesem Streit war nun nicht mehr nur eine theologische Position, sondern auch eine Stellungnahme für oder gegen den Kaiser. Wer das «homoousios» nicht akzeptierte, zeigte sich als illoyal. Also stimmte die grosse Mehrheit der Bischöfe dafür, obwohl viele von ihnen die Formulierung für schwierig und manche gar für falsch und gefährlich hielten. 

Warum? 

Emmenegger: Weil sie davon ausgingen, dass in den biblischen Texten ein Unterschied zwischen Gott und Jesus zu finden sei. Sie betonten, dass Vater und Sohn nicht gleich seien. Nur der Sohn habe gelitten und sei am Kreuz gestorben, nicht aber der Schöpfergott. Damit legten sie den Finger auf den wunden Punkt: Das «homoousios» musste mit einer Aussage zum Unterschied von Vater und Sohn ausgeglichen werden, um rechtgläubig zu sein. 

Der heutige Text des sogenannten «Grossen Glaubensbekenntnisses» der römisch-katholischen Kirche wurde erst im Jahr 451, beim Konzil von Chalcedon, bestätigt. Warum dauerte das so lange? 

Emmenegger: Konstantin hielt die theologische Frage nach dem Konzil von 325 für erledigt. Tatsächlich schwelte der Streit aber noch weiter. Weil er nun politisch aufgeladen war, wurde er zu einer heiklen, teils blutigen Angelegenheit. Dogmengeschichtlich zeigt sich heute zwar eine Linie zurück bis zu Nizäa. Kirchengeschichtlich gesehen war diese Zeit aber schwierig und geprägt von wechselnden Koalitionen. 

Sehen Sie als Kirchenhistoriker auch etwas Positives am Konzil von Nizäa? 

Emmenegger: Das Gute war, dass das Konzil die Christ:innen dazu zwang, Position zu beziehen zu der Frage: Wie halten wir es mit dem Reich? Offiziell war das Konzil ökumenisch, aber die Bischöfe aus dem Westen haben sich bis auf einen einzigen alle entschuldigen lassen. Ein Grund dafür war wahrscheinlich, dass sie gesehen hatten, wie Konstantin kurz vorher beim Konzil in Arles (314) schon einmal einen Streit zur Eskalation gebracht hatte. Natürlich waren alle erleichtert, dass die Christenverfolgung zu Ende war. Aber sie hatten realisiert, dass eine Verbindung mit der Macht Konsequenzen hat. Diese Erkenntnis wirkt bis heute nach. 

Inwiefern? 

Emmenegger: Die Reaktionen der christlichen Teilkirchen auf Nizäa und die kaiserliche Religionspolitik lassen sich auf drei Muster reduzieren: Im Ostteil des Reiches entwickelte sich eine enge Zusammenarbeit zwischen Kirche und Reich, die in der Orthodoxie bis heute als «Symphonia» bezeichnet wird. Zu beobachten ist dies momentan noch in der Nähe des Patriarchen Kyrill zu Putin. Im Westen wehrte sich die Kirche dagegen vehement gegen die Bevormundung durch den Staat. Damit aber wurde die Kirche selbst zu einem Machtfaktor. In Nordafrika widersetzte sich ein Teil der Christenheit der politischen Vereinnahmung. Wenn aber eine grössere Gruppe von Menschen gemeinsam betet, dann ist damit immer auch eine politische Aussage verbunden. Wenn eine Gemeinschaft das nicht wahrhaben will, macht sie sich zum Spielball unterschiedlichster Interessen. Die Folge war ein Bürgerkrieg. 

Was lässt sich heute aus Nizäa lernen? 

Emmenegger: Vielleicht, dass es keine Patentrezepte für das Verhältnis von Kirche und Staat gibt. Jede Zeit muss diese Beziehung neu gestalten, und – das zeigt Nordafrika – man darf sich dieser Aufgabe nicht enthalten.

 

Ökumenische Vesper

«Feier des Glaubens – 1700 Jahre Bekenntnis von Nizäa» 
2025 wird weltweit das Jubiläum des Nizäa-Konzils gefeiert. Im Berner Münster findet am 1. Juni ab 17.00 eine nationale Vesper statt. 
Weitere Infos
Anmeldung: juni.vesper@agck.ch