
Die Geburt – ein tiefgreifendes Ereignis, das Glück, Schmerz, Ergriffenheit und Grenzerfahrung mit sich bringt. Foto: Pixabay
Muttertag: «Eine Frau muss keine Mutter sein»
Jede Frau muss sich zum Thema «Mutterschaft» verhalten. Entscheidet sie sich dagegen, muss sie sich rechtfertigen. Weder Koran noch die Bibel kennen eine Pflicht zur Mutterschaft.
Elisabeth Zschiedrich
Der Monat Mai gilt in der katholischen Kirche als Marienmonat. Wie der Frühling steht Maria für Neuanfang. Als Gottesmutter symbolisiert sie Lebensbejahung und Fruchtbarkeit und ist Sinnbild für den Beginn des Heils, das mit Jesus in die Welt kommt.
Fruchtbarkeit und Mutterschaft bekommen im Mai auch jenseits der katholischen Tradition Aufmerksamkeit: Fast überall auf der Welt wird der Muttertag gefeiert. Praliné-, Blumen- und Schmuckgeschäfte werben dafür, der Mutter etwas Besonderes zu schenken.
Kritik am Muttertag
Wie der Muttertag selbst wiederholt sich auch die Kritik an den mit ihm verbundenen Traditionen. Mütter hätten mehr verdient als einen Strauss Blumen, heisst es etwa, oder man solle der Mutter das ganze Jahr über danken, nicht nur an einem einzelnen Tag.
Dringender als Geschenke bräuchten Mütter Unterstützung. Ihnen fehle es an Geld, Hilfe und Zeit. Die Ansprüche von Seiten der Gesellschaft Frauen gegenüber seien völlig überzogen. Kein Wunder, dass sich sich oft «unwohl» fühlten, schrieb vor ein paar Jahren die deutsche Autorin Mareice Kaiser.

Interreligiöses Frauenparlament zu «Geburt»
Ganz unberührt lässt der Muttertag wohl niemanden: Eine Mutter hat schliesslich jede:r. Für Frauen hat das Thema naturgemäss eine besondere Bedeutung. Entweder sind sie Mutter, möchten es werden oder sie haben sich gegen Kinder entschieden.
Die Frage der Mutterschaft ist mit dem Frausein eng verbunden, und jede Frau muss sich in ihrem dazu auf irgendeine Weise verhalten. Deshalb stellt das 6. Interreligiöse Frauenparlament dieses Jahr das Thema Geburt in den Mittelpunkt – «ein Thema, das Frauen aller religiösen Gemeinschaften gleichermassen betrifft», sagt Mit-Organisatorin Magdalena Zimmermann. Die Geburt markiere den Übergang ins Leben. Sie sei ein tiefgreifendes, zuweilen dramatisches Ereignis, das für die Beteiligten Glück und Schmerz, Ergriffenheit und Grenzerfahrung mit sich bringe.
Für religiöse Menschen habe die Geburt zudem eine spirituelle Bedeutung. Sie sei Gottesgeschenk und andauernde Neuschöpfung. Bei der Tagung des Interreligiösen Frauenparlaments (siehe Kasten) beleuchten vier Vorträge das Thema zunächst aus islamischer, hinduistischer, jüdischer und christlicher Sicht. Anschliessend stehen den Teilnehmerinnen verschiedene Workshops zur Auswahl, um sich vertieft mit persönlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen von Geburt und Mutterschaft zu befassen.

Keine religiöse Pflicht zum Muttersein
Magdalena Zimmermann, reformierte Pfarrerin und Leiterin der Bildungsabteilung bei «Mission 21», will das Thema jedoch nicht nur im Zusammenhang mit Mutterschaft behandeln. In dem Workshop, den sie mit der Psychiaterin Riham Mahfouz anbietet, geht es um christliche und muslimische Perspektiven auf Kinderlosigkeit.
«Wir wollen nicht so ein klassisch-konservatives Frauenbild zementieren, das lautet: Frausein in einer religiösen Gemeinschaft heisst Muttersein», erzählt Zimmermann. Sie ist überzeugt: «Eine Frau muss keine Mutter sein. Aber Frauen ohne Kinder stehen immer noch unter Rechtfertigungsdruck, gegenüber der Gesellschaft und häufig auch gegenüber sich selbst.»
Hier wollen Mahfouz und Zimmermann mit ihrem Workshop Hilfestellung leisten. Sie möchten Herausforderungen benennen, die sich aus der Kinderlosigkeit ergeben, und Strategien zu deren Bewältigung aufzeigen. Mahfouz kennt die Sorgen und Nöte kinderloser Frauen aus ihrer therapeutischen Praxis. Viele Patientinnen wollen wissen, ob Kinderlosigkeit aus islamischer Perspektive erlaubt sei. Die muslimische Ärztin bejaht dies eindeutig: «Aus Sicht der islamischen Religion sind Kinder ein Segen und keine Pflicht. Aischa, die Lieblingsfrau des Propheten Mohammed, blieb selbst kinderlos.»

Antimodernistisches Mutterbildes
Es bestehe aber eine Kluft zwischen der kulturellen und der religiösen Perspektive: «Während sich in der islamischen Kultur Vorurteile gegenüber kinderlosen Frauen etabliert haben, ist die Religion, der Koran viel liberaler. Hier ist klar, dass es im Leben viele Zwecke gibt. Die Frau wird nicht auf die Rolle der Mutter reduziert.»
Auch aus christlicher Sicht sei dies so, sagt Zimmermann. Die Bibel erzähle zwar von der Frau, die Mutter werde und den Haushalt führe. Direkt aufgewertet werde die Mutterschaft hier aber nicht: «Die unbefleckte Geburt Marias ist etwas, dem keine Frau gerecht werden kann. Es gibt auch die Frau, die nicht heiratet, keine Kinder hat und gerade dadurch der Gemeinde einen grossen Dienst erweist.»
Auch könne man die Schriften je nach Kontext unterschiedlich interpretieren, hält Magdalena Zimmermann fest. «Wenn ich ein bestimmtes soziales Gefüge legitimieren möchte, finde ich in der Bibel etwas dazu.» Das «Magnificat» etwa könne man in der Weise lesen, dass Maria selig geworden sei, weil sie geboren habe. So wird Maria in vielen Darstellungen tatsächlich als glückliche Mutter gezeichnet. Der Bibeltext habe aber auch das Potenzial, Frauen zu ermächtigen und sie aus der ihnen zugeschriebenen Mutter-Rolle zu befreien.
In der christlich geprägten Kultur sieht Zimmermann jedoch die gleichen Vorbehalte gegenüber kinderlosen Frauen, wie in der islamischen. Eine Frau, die nicht Mutter sei, werde häufig als «unvollständig» angesehen. Dass solche Vorbehalte unabhängig von der Religion existieren, zeigen auch jüngere Veröffentlichungen von Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben. Die deutsche Autorin Nadine Pungs beklagt in ihrem Buch «Nichtmuttersein» die Dominanz eines «seltsam antimodernistischen Mutterbildes». Eine Frau ohne Kinder wirke immer noch «wie ein Wackelkontakt in der gesellschaftlichen Ordnung».
Idealisiertes Mutterbild ist erdrückend
Mahfouz und Zimmermann ist es wichtig, die Entscheidung für oder gegen Kinder als persönliche Entscheidung stark zu machen und die Perspektiven von Frauen mit und ohne Kinder gleichermassen zu schätzen. Ein solidarisches Miteinander von Eltern und Kinderlosen steht für sie im Mittelpunkt. Als Aufgabe der Religionsgemeinschaften sehen sie es, neben Familien- und Kindergottesdiensten auch Angebote für Menschen ohne Kinder zu machen.
Ein idealisiertes Mutterbild, wie es die Werbung oder die religiös geprägte Kultur bisweilen zeichnet, wird keiner Frau gerecht. Das Bild der perfekten Mutter ist für alle erdrückend – für jene, die keine Kinder haben (wollen) und für Mütter, die auch andere Rollen einnehmen. Sich mit dem Thema Geburt in all seinen Facetten zu befassen, kann Abhilfe schaffen.
«Geburt – interreligiöse Perspektiven und gesellschaftliche Herausforderungen»
Das 6. Interreligiöse Frauenparlament findet am So, 15. Juni, 10.00 bis 17.00, in der Bosnischen Moschee, Grabenstrasse 7, in Schlieren ZH statt und steht allen interessierten Frauen offen.
Weitere Infos und Programm
Anmeldung bis 15. Mai an: info@interrel-frauenparlament.ch