Annalena Müller, Chefredaktorin des «pfarrblatt» Bern, und Christophe Godel, Priester im Pastoralraum Montagnes Neuchâtelois, debattieren über das Abschlussdokument der Synode. Foto: Bernard Hallet
Weltsynode trifft Röstigraben: Eine Debatte
Das Abschlussdokument der Synode wird in den Sprachregionen unterschiedlich aufgenommen. Das zeigt ein Gespräch von cath.ch mit Annalena Müller, Chefredaktorin des «pfarrblatt» Bern, und Christophe Godel, Priester im Pastoralraum Montagnes Neuchâtelois.
Lucienne Bittar, cath.ch, Übersetzung: Sylvia Stam
Die Weltbischofssynode 2024 endete mit der Verabschiedung des Schlussdokuments. Was halten Sie davon?
Annalena Müller: Die Antwort hängt, glaube ich, stark von den Erwartungen ab. In vielen deutschsprachigen Regionen waren die Erwartungen sehr hoch. Vielleicht waren sie auch zu hoch, weil sie vom Synodalen Weg in Deutschland mitgeprägt waren. Die Skandale um Missbrauch und dessen Vertuschung haben der Kirche in Deutschland grossen Schaden zugefügt.
Der Synodale Prozess hat dort wie auch in der Deutschschweiz viele Hoffnungen geweckt, die teilweise enttäuscht wurden. Es ging vergessen, dass das Kirchenrecht Synoden nicht erlaubt, Reformen zu beschliessen. Dies ist dem Papst oder dem Konzil vorbehalten. Persönlich finde ich, dass die Synode im Rahmen ihrer Möglichkeiten alles erreicht hat, was sie erreichen konnte. Auch wenn es konkret nicht viel ist.
Christophe Godel: Ich denke auch, dass der Kontext der Rezeption wichtig ist. In der Romandie hatte der deutsche Synodale Weg keine vergleichbare Wirkung, und ich nehme in meinem Pastoralraum keine solche Enttäuschung wahr.
Ich für meinen Teil bin sehr zufrieden. Das Schlussdokument ist ein Arbeitspapier, daher habe ich nicht erwartet, dass es Beschlüsse enthält. Es ist lediglich ein Schritt in einem Prozess, der vor drei Jahren begonnen hat. Die Schweizer Katholik:innen haben sich daran beteiligt, und zwar auf verschiedenen Ebenen, von ganz lokal bis global. Nun ist es Zeit, wieder einen Schritt hinunter zu machen. Jede Ebene der Kirche muss sich mit dem Schlussdokument auseinandersetzen und daran weiterarbeiten. Wir werden sehen, in welche Richtung der Heilige Geist uns drängt, die Kirche zu verändern.
Das Schlussdokument wurde sofort vom Papst unterzeichnet. Er hat auf das sonst übliche nachsynodale Schreiben verzichtet. Wie deuten Sie das?
Godel: Das ist eine wichtige Geste des Papstes; eine Geste des Vertrauens und der Anerkennung des zurückgelegten Weges, der Arbeit, in die so viele Menschen, das ganze Volk Gottes, einbezogen waren. Da es kein Apostolisches Schreiben geben wird, kann man sich sofort an die Arbeit machen. Aber der Wegfall dieses Schreibens hat auch eine «negative» Seite.
Die Anweisungen des Papstes zuhanden der Gläubigen zeigen jeweils, wo Akzente zu setzen sind, was noch zu entwickeln ist und in welche Richtung. Das Schlussdokument wurde auch in diesem Sinne erstellt. Die Zusammenfassung der Überlegungen der Vollversammlung wurde dem Papst vorgelegt, damit er sage, woran weitergearbeitet werden muss.
Müller: Da stimme ich Ihnen zu. Wir haben ein Dokument von ca. 50 Seiten in der Hand, das vielfältige Interpretationen zulässt. Das ist ein grundsätzliches Problem in der Weltkirche. Je nach Kultur werden Regeln unterschiedlich ausgelegt. Das sieht man bereits in der französischen und der deutschsprachigen Schweiz.
Die Verteilung der Aufgaben in der katholischen Kirche ist in der Romandie anders als in Bern oder im Bistum Basel. Dort leiten Frauen Gemeinden, sie taufen Kinder stehen Wortgottesdiensten vor. Das mag für viele Katholik:innen seltsam klingen, aber im Bistum Basel ist das völlig normal.
Godel: Der synodale Prozess mit seinem «Geistlichen Gespräch» hat immer wieder darauf hingewiesen, dass es nicht darum geht, zu interpretieren, sondern zu unterscheiden. Das bedeutet, den Kontext zu berücksichtigen, aber auch auf den Heiligen Geist zu hören, der die Kirche aufbaut, indem wir einander zuhören. Irgendwann wird sich ein Konsens herauskristallisieren, der in meiner Pfarrei vielleicht anders aussieht als in der Nachbarspfarrei.
Diese Erfahrung des synodalen Dialogs, die auf allen Ebenen praktiziert wurde, ist also ein Erfolg der Synode?
Godel: Ganz klar. In La Chaux-de-Fonds leitet ein Team aus Priestern, Lai:innen und Ordensleuten unseren Pastoralraum. Jedes unserer Treffen beginnt mit einem «geistlichen Gespräch» über eines der Themen des Schlussdokuments. Beim letzten Treffen ging es beispielsweise um die Einführung ins Christentum, weil wir viele Anfragen für Taufen und Firmungen haben. Diese Methode der Meinungsfindung ist sehr fruchtbar, sie eröffnet neue Wege.
Ausserdem eint sie uns in der Ausübung unserer gemeinsamen Aufgabe. Dabei würdigen sie die Charismen jedes und jeder Einzelnen, im Sinne einer gegenseitigen Ergänzung, eines Zusammenführens von Begabungen. Die Methode des geistlichen Gesprächs drängt zum Handeln, zum Ausprobieren, selbst auf die Gefahr hin, Dinge neu zu bewerten.
Es gibt immer noch Menschen, die der Synode misstrauen und befürchten, dass die Kirche dadurch auseinander gerissen wird. Das ist schade. Doch sobald sie die Methode ausprobieren, fällt die Angst weg.
Müller: Ich denke auch, dass das «geistliche Gespräch» der Kirche weltweit helfen kann, sich zu verändern. Vor allem dort, wo es eine Hierarchie und eine strikte Trennung zwischen Klerikern und Lai:innen gibt. In der Deutschschweiz sehen viele jedoch nicht, was an dieser Methode so besonders sein soll, und es ist schwierig, das gegenseitige Zuhören als Erfolg zu vermitteln. Für uns Deutschschweizer:innen ist es normal, dass Kardinäle, Priester und Lai:innen gemeinsam an einem Tisch diskutieren.
Ähnliche Schwierigkeiten gibt es mit dem Wort «Charisma», das oft im Zusammenhang mit den Rollen von Männern und Frauen in der Kirche verwendet wird. Es heisst dann, sie hätten unterschiedliche Aufgaben. Und diese Vorstellung passt nicht mehr in unsere liberale Gesellschaft.
Als ich Ihnen zuhörte, habe ich an den Besuch von Kardinal Mario Grech in Bern gedacht. Irène Gassmann, Priorin des Klosters Fahr, sagte ihm, dass es für viele unverständlich sei, warum Frauen von bestimmten Ämtern in der Kirche ausgeschlossen würden. Die Antwort des Kardinals, die voll schöner Worte war, drehte sich um die Notwendigkeit, Bereiche für Frauen zu finden, die keine Weihe benötigten.
Diese Antwort löste bei den anwesenden Frauen, die meisten deutschsprachig, sichtbare Verärgerung aus. Katholische Würdenträger sind es nicht gewohnt, sich mit selbstbewussten und nicht hierarchisch ausgerichteten Lai:innen, vor allem Frauen, auseinanderzusetzen. Die Weltsynode war in dieser Hinsicht eine positive Erfahrung.
Die Frage der Dezentralisierung wurde an der Synode ausführlich diskutiert. Was bedeutet das für Sie aus Schweizer Sicht?
Godel: Die Schweizer Kultur und das politische System hierzulande machen es leichter, den Begriff der Synodalität zu verstehen. Unser Land verfügt über eine Erfahrung, die es in die Weltkirche einbringen kann, vorausgesetzt, unsere einzelnen Regionen können sich darüber einigen, wie der synodale Weg praktiziert wird. Dies wird die Aufgabe der Schweizer Synodalitätskommission sein.
Es besteht jedoch die Gefahr, dass unsere Entscheidungsfindung durch Konsens oder Abstimmung mit der Unterscheidung verwechselt wird, die ein anderer Weg zur Entscheidungsfindung ist. Von Neuenburg aus hat man übrigens den Eindruck, dass die Deutschschweiz versuchen könnte, das Vorgehen des deutschen Weges zu übernehmen, der die Besonderheit der Kirche nicht respektiert und in der Endphase zu demokratisch war.
Müller: Die vom Abschlussdokument und vom Papst angesprochene Dezentralisierung der römischen Autorität, die den Ortskirchen und Bistümern mehr Kompetenzen zugesteht, ist für mich positiv.
Sie ist aber nicht neu. Der Wunsch, die Kirche zu dezentralisieren und zu regionalisieren, geht auf das Zweite Vatikanische Konzil zurück. Unter den Pontifikaten von Johannes Paul II. und Benedikt XVI. ging sie mehr oder minder vergessen, als Roms Vormachtstellung gestärkt wurde. Die Synode ist also eine Rückkehr zum Zweiten Vatikanischen Konzil.
Godel: Dezentralisierung bedeutet auch die Einführung des Subsidiaritätsprinzips. Alles, was auf der nächsttieferen Ebene entschieden werden kann, muss dort entschieden werden, um effizienter zu sein, den Menschen besser zu dienen und schnell auf ihre Bedürfnisse reagieren zu können.
Es muss nur festgelegt werden, welche Ebene für welche Fragen zuständig ist. In der Pfarrei gibt es Dinge, die ich entscheiden kann, und andere, bei denen ich den Weg über den Bischof gehen muss. Die Aufnahme von Menschen anderer Konfessionen in die katholische Kirche läuft zum Beispiel über ihn.
Sie haben die von der Kirche geschaffenen Unterschiede zwischen den Geschlechtern angesprochen. Was halten Sie davon, dass die Synode die Frage der Frauenordination ausgeklammert hat?
Müller: Das ist sicherlich einer der Gründe, warum die Synode so enttäuschend war, vor allem aus Deutschschweizer Sicht. Gibt es Gaben, also «Charismen» die nur Männern vorbehalten sind? Die ungelöste Frauenfrage führt dazu, dass sich viele Gläubige von der Kirche abwenden.
Godel: Wir haben in unserem Bistum drei Frauen als Vertreterinnen des Bischofs. Das sind neue Wege. Aber es gibt Grenzen, die bei der Frauenordination noch nicht überschritten werden können. Sich auf diese Frage zu konzentrieren, bedeutet, ausser Acht zu lassen, was bereits möglich ist. Es gibt Länder, in denen Frauen nicht einmal die Lesung vortragen dürfen.
Etwas Ähnliches haben wir in der Ökumene erlebt. In unserer Region konzentrierte man sich eine Weile vorwiegend auf das gemeinsame Feiern des Abendmahls. Das hat die Gemüter so sehr beschäftigt, dass darüber hinaus kaum ökumenische Projekte angegangen wurden.
Müller: Es ist richtig, sich nicht nur auf die Frage der Ordination zu konzentrieren, wenn man über die Situation der Frauen in der Kirche spricht. Aber man kann sie auch nicht ausklammern mit der Bemerkung, es sei noch nicht an der Zeit. Wie soll man einem Mädchen erklären, das heute aufwächst: «Es gibt Rollen, die kannst du nicht übernehmen, weil du ein Mädchen bist»?
Godel: Gleichzeitig müssen wir wir selbst bleiben. Wir sind zum einen Schweizer:innen. Und wir müssen die Spaltung in Traditionalist:innen und Progressiven überwinden. Hier mittendrin zu wirken, ist Teil unserer schweizerischen DNA.
Zweitens müssen wir uns daran erinnern, dass der synodale Prozess das Ziel hat, uns wieder mit Gott zu verbinden. Es ist in erster Linie ein spiritueller Prozess, und erst in zweiter Linie ein struktureller. In unserem Pastoralraum möchte sich seit zwei Jahren jede zweite Woche jemand taufen lassen. Der synodale Weg hilft uns meiner Meinung nach, diese Menschen besser zu empfangen und sie besser zu begleiten. Die Kirche muss Gott weitergeben, und da sind wir up to date.
Das Gespräch im Original lesen Sie hier.