In vielen Städten werden sie als Plage gesehen: die Stadttauben. Foto: unsplash.com

Die Taube: Friedenssymbol oder Stadtplage?

Die Taube steht für Frieden und Liebe und ist seit dem Konzil von Nizäa ein Symbol für den Heiligen Geist. Warum ist unser Verhältnis zu Tauben dennoch zwiespältig?


Nicole Arz

Als das Wasser der Sintflut allmählich zurückging und die Arche sich auf dem Ararat-Gebirge festgesetzt hatte, liess Noah im Abstand von sieben Tagen eine Taube fliegen. Beim ersten Mal kam sie zurück, beim zweiten Mal brachte sie ihm einen frischen Ölzweig, und beim dritten Mal blieb sie fort. Da wusste Noah, dass die Erde wieder bewohnbar war. 

So erzählt es uns das Buch Genesis. Bereits hier symbolisiert die Taube die Versöhnung Gottes mit den Menschen. Sie überbringt die frohe Botschaft von der Bewohnbarkeit der Erde und verkündet damit den Frieden mit Gott, dessen Zorn die Sintflut über die Erde gebracht hatte. 

Symbol für den Heiligen Geist und Pfingsten 

In der Pfingstgeschichte ist von Tauben keine Rede. Hier stehen andere Bilder im Vordergrund, wie das Brausen des Windes oder die Flammen über den Köpfen der Apostel. Dennoch wird seit dem Konzil von Nizäa (325 n.Chr.) der Heilige Geist durch eine Taube dargestellt, und sie symbolisiert seither auch das ihm geweihte Fest: Pfingsten. 

Diese Idee gründet auf einer Szene im Neuen Testament. Die Evangelisten berichten, dass sich nach der Taufe Jesu im Jordan der Himmel öffnete und der Geist Gottes in Gestalt einer Taube herabkam. Zugleich war die Stimme zu hören: «Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.» 

Ab dem 17. Jahrhundert gab es denn auch das Ritual, an Pfingsten Tauben in den Kirchen freizulassen oder eine hölzerne Taube über den Köpfen der Gläubigen durch eine Öffnung in der Kirchendecke, das «Heilig-Geist-Loch», herunterzulassen. 

Sanftmütig und treu 

Ein weiterer Grund für die Beliebtheit der Taube mag heute seltsam klingen: Die meisten Taubenarten haben keine Gallenblase. Galle galt in früherer Zeit als Symbol der Bitterkeit und Sitz des Zorns. Weil frei von Galle, galten Tauben als besonders sanftmütig und frei von allem Bösen. 

Auch dass in vielen Kulturen die Tauben für Liebe und Treue stehen, kommt nicht von ungefähr: Taubenpaare bleiben ein Leben lang zusammen und sind in ihrer Elternschaft gleichberechtigt. So sind Mutter wie Vater dazu imstande, in ihrem Kropf eine nahrhafte Milch zur Fütterung ihrer Nestlinge zu bilden. 
 


Nähe zum Menschen 

Die wilden Urahninnen unserer Stadttauben bewohnten die steilen Felsenküsten des Mittelmeeres. Die verwinkelten Höhlen und Felsspalten boten zwar sichere Nistplätze, aber kaum Nahrung. Auf der Suche nach Futter kamen die Tauben weit herum und perfektionierten dabei die Fähigkeit, auch nach ausgedehnten Nahrungsflügen immer wieder zum Nest zurückzufinden. 

Auf ihren Erkundungsflügen kamen sie in Berührung mit menschlicher Zivilisation. Die Kornfelder der Bauern lieferten Nahrung, die steinernen Bauten der ersten Hochkulturen die Nistplätze. 

So wurde die Taube – noch vor dem Huhn und der Gans – als erster Vogel domestiziert, und aus der Felsentaube wurde die Haustaube. Sie lieferte dem Menschen Fleisch und Eier und kam immer wieder verlässlich zu ihrem Schlag zurück. Das waren wünschenswerte Eigenschaften, die durch Zucht noch verstärkt wurden. 

Für eine Taube ist der Heimatschlag das Zentrum der Welt. Sie versucht immer, dorthin zurückzukehren, egal, wie weit sie von zu Hause entfernt ist. Möglich machen das extreme Sinnesleistungen. Tauben erkennen polarisiertes Licht und hören Infraschall. Sie interpretieren Landschaftsformen und Sonnenstand. Jede Wiese, jeder Hügel, jeder See hat nur den Zweck, die Richtung nach Hause anzuzeigen. 

Für die Orientierung in unbekanntem Gebiet haben Tauben einen biologischen Kompass. In welcher Richtung das Magnetfeld der Erde verläuft, registriert die Taube durch winzige Eisenteilchen im unteren Schnabelrand. Sie erkennt dadurch die Himmelsrichtung, in die sie fliegen muss. Ihr biologischer Kompass ist exakt, ausser wenn Gewitter, Erdbeben oder eine Sonnenfinsternis das Magnetfeld der Erde stören. Dann verlieren die Tiere manchmal die Orientierung. 

Tauben als städtische Plage 

Die Vorurteile gegenüber den Tauben in unseren Städten sind vielfältig: Sie seien lästig, schmutzig, krankheitsübertragend und eine Plage, deren Kot gar die Bausubstanz angreife. Füttern ist vielerorts verboten oder wird sogar mit einem Bussgeld geahndet. 

Aber Stadttauben sind keine Wildvögel. Die Populationen haben ihren Ursprung in aufgegebenen oder vernachlässigten Schlägen oder im Taubensport, wo Vögel den Anforderungen nicht genügt haben. Diese Tauben haben sich zu Schwärmen zusammengeschlossen und sind in der Nähe der Menschen geblieben. In den Häusern und Stadtmauern haben sie Nistmöglichkeiten und Schutz vor Greifvögeln gefunden. 

Mittlerweile hat der radikale Umgang vieler Städte mit ihren Taubenpopulationen verschiedene Tierschutzverbände auf den Plan gerufen. Es konnte nachgewiesen werden, dass Taubenkot nicht materialschädigend ist und dass Tauben keine Krankheiten übertragen. Das Fütterungsverbot zur Dezimierung wurde in Frage gestellt, nachdem eine Studie gezeigt hat, dass selbst unter- und mangelernährte Tauben nicht aufhören, Eier zu legen und Küken auszubrüten, die dann im Nest verhungern. 

Und die Berner Tauben? 

Die Stadt Bern strebt nach eigenem Bekunden einen kontrollierten und gesunden Taubenbestand an. Seit 2010 liegt die Zuständigkeit dafür bei der Direktion für Sicherheit, Umwelt und Energie und damit beim Tierpark Bern, der ein neues Taubenkonzept erarbeitet hat. 

Grundlage sind betreute Schläge in der Berner Altstadt, im Mattenhofquartier, in Holligen, am Ostring und im Kirchenfeld. Hier werden die Tauben artgerecht gefüttert, geimpft, sterilisiert und kontrolliert. Offensichtlich ein erfolgreiches Projekt: Während die Population in den 1990er-Jahren noch 10000 oftmals kranke Tiere umfasste, sind es heute noch rund 1500 vorwiegend gesunde Vögel. – Er weht, der Heilige Geist!