
Christina Aus der Au: «Religiöse Wahrheit kann nicht von aussen her betrachtet werden. Man muss sie selbst erfahren.» Foto: unsplash.com
Christina Aus der Au: «Aus krummem Holz kann nichts Gerades gezimmert werden»
Mitte Februar geht Christina Aus der Au in Herzogenbuchsee der Frage «Was ist Wahrheit?» aus theologisch-philosophischer Perspektive nach. Im «pfarrblatt»-Gespräch erläutert sie auch ihr persönliches Verständnis auf diese grosse Frage.
Interview: Anouk Hiedl
«pfarrblatt»: Wer ist für Sie wahrhaftig?
Christina Aus der Au: Ich glaube, Menschen sind in ihrem Wesen nie ganz wahrhaftig. Immanuel Kant sagt: «Aus so krummem Holz, wie der Mensch gemacht ist, kann nichts ganz Gerades gezimmert werden.» Alle haben ihre dunklen Ecken mit Spinnweben. Aber ich persönlich glaube – und das kann man nur glauben, nicht wissen –, dass Gott wahrhaftig Gott ist. Ich fürchte nur, ich weiss gar nicht, was das genau bedeutet.
Im Hebräischen gibt es mehrere Wörter für Wahrheit. Manche davon sind auch Gottesname …
Aus der Au: Ja, das hebräische «emet» etwa wird im Deutschen häufig mit «Treue», «Wahrhaftigkeit», «sicher», «zuverlässig» oder «echt» übersetzt. «Emet» kommt vom Verb «aman» für «unterstützen, festmachen», das auch dem «Amen» zugrunde liegt. Wenn «emet» von Gott ausgesagt wird – in «Deiner» bzw. «seiner» Wahrheit –, verweist das auf Gottes Verlässlichkeit und Treue. Je nach Bibelübersetzung spricht Psalm 31 Gott direkt als Gott der Wahrheit oder Treue an.

Wann ist etwas für Sie wahr?
Aus der Au: Ganz wahr ist eigentlich nur die Mathematik. Weil wir dort die Zahlen schon von Anfang an so definiert haben, dass wir damit wahre Aussagen machen können. Alles andere hängt von der Sichtweise ab – regnet es wirklich oder nieselt es nur? Meinen wir dasselbe mit unseren Begriffen oder sind wir schon von Anfang an auf unterschiedlichen Dampfern?
Je nachdem bezieht sich Wahrheit aufs Denken oder die Sprache, aufs Bewusstsein oder ein Verhalten…
Aus der Au: …und es hilft dem Verständnis, wenn man weiss, auf welchen Wahrheitsbegriff man sich dabei bezieht.
Wahrheit ist in der Philosophie, den Wissenschaften und den Religionen wichtig. Wie wird der Begriff jeweils verstanden?
Aus der Au: In der Philosophie und den Wissenschaften ist man sich einig, dass man sich der Wahrheit nur annähern kann. Das Werkzeug der Philosophie ist die Sprache, und damit sind Missverständnisse schon angelegt. So streitet man sich etwa über Freiheit – aber was ist damit gemeint? Dass ich immer auch anders handeln oder auch anders wollen könnte? Dass es ein «Loch» in der Kette von Ursache und Wirkung gibt? Oder dass wir uns einfach einbilden, wir seien frei? Ist es nun «wahr», dass wir frei sind? In den Wissenschaften hingegen arbeitet man mit Hypothesen und Experimenten und erreicht so immer nur vorläufige Ergebnisse, die mit dem nächsten Experiment falsifiziert werden können. Von Wahrheit spricht da selten jemand. Im Christentum, wenn wir bei dieser Religion bleiben, gibt es hingegen die Rede von der Wahrhaftigkeit, der Authentizität Gottes und Jesu, wahrer Gott und wahrer Mensch. Man kann aber auch biblizistisch auf der Wahrheit, der Historizität bestimmter Ereignisse und Aussagen beharren.
Inwiefern sind biblische Überlieferungen wahr?
Aus der Au: Für mich ist hier Wahrheit als historische Wahrheit nicht wirklich fruchtbar. Es geht doch darum, was die biblischen Überlieferungen mit meinem Leben zu tun haben. Ob Josua die Mauern Jerichos zu Fall mit Trompeten gebracht hat oder Jesus tatsächlich an einem bestimmten Tag auf dem See Genezareth gegangen ist, ist mir weniger wichtig. Ich will wissen: Trägt der Glaube an den menschgewordenen, gekreuzigten und auferstandenen Gott auch mich im Leben und im Sterben? Kann ich mich auf diesen Gott mit meiner ganzen Existenz verlassen?
Wie lautet Ihre Antwort darauf?
Aus der Au: Ja, das glaube ich – aber auch der Zweifel daran gehört immer wieder dazu.
Kann man die Wahrheit des Glaubens beweisen?
Aus der Au: Nein, Glaube lässt sich nicht verobjektivieren, er kann nicht von aussen her betrachtet werden. Religiöse Wahrheit kann nicht überprüft, bewiesen oder beurteilt werden – sie muss erfahren werden. Es gibt keine Kriterienliste, anhand deren die Jünger:innen beurteilen konnten, ob dieser Jesus wirklich von Gott kam. Sie sind ihm begegnet, und sie wussten: Du bist wirklich der Sohn Gottes. In dir offenbart sich der «Ich bin, der ich bin». So kann auch ich niemandem die Wahrheit des Glaubens beweisen. Jede und jeder muss Gott selbst begegnen.
Im Namen der Wahrheit wurde und wird oft auch Schreckliches getan. Inwiefern hat Wahrheit eine politische Dimension?
Aus der Au: Einmal erkannt, wird Wahrheit auch gelebt. So kann ich nicht sagen, etwas sei zwar wahr, aber es ist mir egal. Es treibt mich zum Tun – und damit zum Politischen. Im Sinne von Begegnung und in den Worten Max Frischs soll gelebte Wahrheit dem anderen aber nicht wie ein nasses Tuch um den Kopf geschlagen, sondern wie ein warmer Mantel hingehalten werden.
Café Théo: «Was ist Wahrheit?»
Samstag, 15. Februar: «Die drei Gesichter der Wahrheit», mit Prof. Dr. Christina Aus der Au, Theologin und Philosophin
Samstag, 8. März: «Wahrheit philosophisch betrachtet», mit Dr. Yves Bossart, Philosoph, Autor und Moderator der SRF-Sendungen «Sternstunde Philosophie» und «Focus»
Samstag, 15. März: «Wahrheit im Medien-Sturm der Fake News», mit Dr. Charles Martig, Medienwissenschafter und Theologe,
Jeweils von 09.30 bis 12.00 im Dachstock des Restaurants Kreuz, Kirchgasse 1, Herzogenbuchsee