Täuferhöhle im Zürcher Oberland: Andacht zur Erinnerung an verfolgte Täufer:innen, die sich hier zu ihren Gottesdiensten versammelten. Foto: Peter Dettwiler

500 Jahre Täuferbewegung: Von Verfolgung zur Versöhnung

Sie wurden verfolgt, weil sie Kindertaufe, Kriegsdienst und Schwüre verweigerten. Der Weg zu Versöhnung und Anerkennung der Täufer:innen war lang.


Peter Dettwiler*

Im Jahr 2000 führe ich meine Studienkollegen aus Richmond, Virginia, durch Zürich. Ich als reformierter Schweizer, sie als Teil der amerikanischen Täuferbewegung. Doch was soll ich ihnen zeigen? Es gibt ein Denkmal für Zwingli bei der Wasserkirche, eines für seinen Nachfolger Bullinger am Grossmünster, auf der Rückseite das reich bebilderte Portal, das die Geschichte der Reformation erzählt – aber keine Spur von der Geschichte der Täuferbewegung! 

Zum ersten Mal betrachtete ich Zürich aus täuferischer Perspektive und realisierte: Diese Geschichte hatten wir Reformierten völlig verdrängt. Zürich war die «Zwinglistadt», aber nicht die Stadt von Felix Manz, der als erster Täufer am 5. Januar 1527 durch Ertränken in der Limmat hingerichtet wurde. 

Das Übel an der Wurzel ausrotten

Die Nachkommen jener ersten Täufer:innen hatten diesen brutalen Beginn ihrer Geschichte von Generation zu Generation weitergegeben. Ich realisierte, dass jährlich zahlreiche Gruppen und Familien nach Zürich an die Wiege ihrer Kirche pilgerten. Waren sie willkommen? Noch 1952 hatte der Stadtrat der mennonitischen Weltkonferenz das Anbringen einer Gedenktafel an der Limmat verweigert. Der radikale Flügel der Reformation Zwinglis wurde von Anfang an grausam verfolgt. Das Übel sollte an der Wurzel ausgerissen werden. Zürich wurde die hartnäckigen Taufgesinnten nach 130 Jahren und Bern nach rund 200 Jahren endgültig los. Doch die Bewegung überlebte. 

Die vertriebenen täuferischen Gläubigen bewahrten ihre Identität und ihre Geschichte. Und heute kommen sie zurück nach Zürich, in die Täuferhöhle im Zürcher Oberland, ins Schloss Trachselwald im Emmental, wo sie dieser Tage noch die Gefängniszellen besichtigen, in denen ihre Vorfahren und Vorfahrinnen schmachteten. 
 


Gedenktafel und Bekenntnis

Mir wurde klar: Es war an der Zeit, ein deutliches Zeichen von reformierter Seite zu setzen. Zwar gab es seit den 1980er-Jahren zaghafte «Schritte der Versöhnung». Aber eine Gedenktafel an der Limmat fehlte immer noch. Das Gedenkjahr für Zwinglis Nachfolger Heinrich Bullinger, geboren 1504, bot dazu Gelegenheit. Ein Anstoss von mennonitischer Seite führte zur Bildung einer reformiert-mennonitischen Kommission. Am 26. Juni 2004 wurde die Gedenktafel eingeweiht im Beisein von täuferischen Gläubigen aus vielen Teilen der Welt.

Ein Schuldbekenntnis von reformierter Seite bekräftigte diesen feierlichen Akt: Es anerkennt, dass dieses dunkle Kapitel in der reformierten Kirche lange verdrängt wurde und dass es an der Zeit ist, «die Geschichte der Täuferbewegung als Teil unserer eigenen Geschichte zu akzeptieren, von der täuferischen Tradition zu lernen und im Dialog mit den täuferischen Gemeinden das gemeinsame Zeugnis des Evangeliums zu verstärken».

Nicht unbestritten blieb das mutige Bekenntnis, «dass die damalige Verfolgung nach unserer heutigen Überzeugung ein Verrat am Evangelium war und unsere reformierten Väter in diesem Punkt geirrt haben». Nicht nur Reformierte, auch Katholik:innen verfolgten die Täufer blutig, im Tirol, in Deutschland und in den Niederlanden. In katholischen Schweizer Kantonen durften sie sich – wie die Reformierten – nicht ansiedeln. Nur im Jura durften sie mit Erlaubnis des Bischofs von Basel in Bergregionen leben, solange sie nicht in den Dörfern missionierten. 

Ort der Versöhnung

 500 Jahre nach dem «Zürcher Wurstessen», einem der Trennungs-Auslöser, setzten alle drei Beteiligten ein Zeichen der Versöhnung: Jürg Bräker, Generalsekretär der Konferenz der Mennonit:innen Schweiz, der damalige reformierte Kirchenratspräsident Michel Müller und der katholische Generalvikar Luis Varandas feierten gemeinsam einen Gottesdienst im Grossmünster.

Sind Schritte der Versöhnung nach fast 500 Jahren sinnvoll? Der mennonitische Historiker John Sharp schreibt: «Wenn ich jetzt am Westufer der Limmat stehe und die neue Inschrift der Gedenktafel lese, dann weiss ich: Diese Geschichte hat ein neues Ende gefunden. […] Wir sind berufen, im Kleinen und im Grossen für Gottes Versöhnung zusammenzuarbeiten. Mit dieser gemeinsamen Aufgabe ist uns nun auch Zürich zur Heimat geworden.» 

Das bedeutet: Mit dieser Gedenktafel und dem Bekenntnis von 2004 ist Zürich nicht mehr nur der Ort einer schmerzhaften Geburt der Täuferbewegung, sondern jetzt auch der Ort der Versöhnung, der einen neuen Blick auf die Geschichte ermöglicht und wo täuferische Gläubige willkommen sind. In den 20 Jahren meines Engagements für die Versöhnung zwischen Taufgesinnten und Reformierten wurde mir klar: Jede kirchliche Gemeinschaft hat ein Charisma, das Gott ihr anvertraut hat. Wenn wir einander gegenseitig daran Anteil geben, werden wir bereichert und füreinander und für die Menschen zum Segen.
 

* Peter Dettwiler, reformierter Pfarrer, war von 1993 bis 2015 Beauftragter für Ökumene, Mission und Entwicklung der Evangelischreformierten Landeskirche des Kantons Zürich. 

 

 

Warum wurden Täufer:innen verfolgt?

Täufer:innen wollten konsequent Jesus und der Bibel nachleben. So verweigerten sie Kindertaufe, Kriegsdienst und das Schwören eines Eides, organisierten ihre Gemeinden unabhängig vom Staat und lehnten jede Form von Hierarchie ab. Die Taufregister, die bei der Kindertaufe erstellt wurden, waren damals die einzige Möglichkeit, alle Bürger:innen zu erfassen. Die Armee war überlebenswichtig, Eide sicherten im Handel Loyalität. Deshalb wurden die Täufer:innen als Bedrohung angesehen und verfolgt. 

 

Verfolgung auch im Kanton Bern

Auch der Kanton Bern reagierte mit Repression und Verfolgung auf die Täuferbewegung.  Diese flohen daraufhin in ländlichere Gebiete wie das Emmental oder Berner Oberland. Mit dem Täuferjahr 2007  im Emmental begann die Aufarbeitung dieses dunklen Kapitels. 2017 bat der damalige Kirchendirektor Christoph Neuhaus (SVP) die Menonit:innen – wie die Täufer:innen auch heissen - um Vergebung für das ihnen zugefügte Leid. Dieser Bitte kamen die Menonit:innen 2019 in einer Erklärung nach. 2018 wurde in Bern der Stationenweg zur Berner Täufergeschichte eröffnet.