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«Die Tore der Stadt stehen den ganzen Tag offen»
Aki-Kolumne von Andrea Stadermann
Heute gab es wie jeden Dienstag und Donnerstag während des Semesters einen Mittagstisch im aki. Die Studierenden melden sich bis 10.00 bei uns an, wir holen das abwechslungsreiche, vegetarische Menu bei einem benachbarten Caterer ab und decken im grossen Saal die Tische für unsere Gäste. Der Preis ist für Studierende niedriger, regelmässig nehmen aber auch Leute teil, die berufstätig sind, und zahlen einen etwas höheren Preis. Natürlich freut es uns, wenn möglichst viele Studierende kommen und den Saal füllen, in dem ungefähr 30 Personen Platz finden. Aber manchmal sind die grossen Mengen nicht das, was zählt. Mir sind die Gespräche bei Tisch kostbar: die Begegnungen und die Verständigung miteinander und das Kennenlernen.
Heute sassen an einem Tisch eine junge Frau mit Wurzeln in Südamerika, Ecuador, ein junger Mann mit kurdischem Hintergrund und eine Studierende, deren Familie aus Südindien stammt. Alle sind sie in der Schweiz geboren und alle sprechen sie Schweizerdeutsch. Ebenso sprechen die drei Studierenden weitere Sprachen: Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Quichua, Kurdisch, Arabisch, Tamil, Urdu, Hindi. Ich sitze dazwischen und denke: Wie arm bin ich dran als deutsche Mitteleuropäerin … Meine Sprachkenntnisse beschränken sich auf Deutsch und Englisch, noch nicht mal Französisch kann ich. Ich hatte Latein in der Schule. Und Schweizerdeutsch, genauer Berndeutsch, lerne ich gerade erst. Wir unterhalten uns darüber, wer welche Sprachen spricht, versteht. Da ist eine gegenseitige Offenheit zu spüren, die nicht gespielt, anerzogen oder nur aus Höflichkeit da ist, sondern von ehrlichem Interesse am anderen, an der anderen zeugt. Alle sind ein bisschen fremd in der Schweiz, einschliesslich mir, der Deutschen. Und gerade deswegen entsteht vielleicht ein gegenseitiges Sein-Lassen, Weite, Offensein und Wertschätzung.
Nach dem Mittagstisch geht mir das noch durchs Herz. Mir kommt ein Buch der Bibel in den Sinn, das neben vielem anderem eine utopische Vorstellung von der Zukunft, die Gott für uns bereitet, entwirft. Dort, im Buch der Offenbarung, heisst es: «Dann sah ich einen neuen Himmel und eine neue Erde […] Und ich sah die heilige Stadt: Sie kam von Gott aus dem Himmel herab. […] Die Tore der Stadt stehen den ganzen Tag offen. Sie werden nie geschlossen.» (Offb. 21)
Manchmal, mitten im ganz normalen Alltag, öffnet sich die Tür «zur anderen Seite» einen kleinen Spalt breit …