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Die PH-Studentin Nadeschka Gaberell sieht den Nachhilfe-Unterricht als gute Vorbereitung für ihren Alltag als Lehrerin. Foto: Elisabeth Zschiedrich

«Wir freuen uns, wenn ein Kind uns nicht mehr braucht»

«Learn4Life» bietet Nachhilfe zu günstigen Preisen. Davon profitiert nicht nur der Geldbeutel der Eltern, sondern auch das Lernverhalten der Kinder.

 

Im Untergeschoss der Pfarrei Guthirt in Ostermundigen herrscht an Nachmittagen während der Schulzeit reger Betrieb. Zwölf Schüler:innen und fünf Lehrende sitzen an kleinen Tischen zusammen. 

«Ist das richtig?», fragt die zwölfjährige Norah und schiebt ihr Aufgabenblatt zu Nadeschka Gaberell hinüber. Die Studentin der Pädagogischen Hochschule Bern nickt. Sie unterrichtet seit Anfang Jahr im Lernzentrum «Learn4Life». «Mega gut» gefalle es ihr, sagt die 22-Jährige. Auch ihre Schülerin Norah sagt, sie komme gerne hierher. 

Für Gaberell ist der Umgang mit den Kindern eine gute Vorbereitung auf ihren Berufsalltag als Lehrerin. Ihre Kollegin Hanna Baumgartner, die in Bern Wirtschaft studiert, schätzt es, dass neben dem Lernen auch noch Zeit ist für persönlichen Austausch. 

Non-Profit-Charakter 

«Dass es hier allen gut geht, ist uns sehr wichtig», sagt der Geschäftsleiter Stefan Stuck. Die Nachhilfe solle sich mehr wie ein Sporttraining anfühlen als wie ein Schulunterricht. Deshalb duzen sich alle, und statt Pausenläuten ertönt Musik. Zwischen zwei Lektionen spielen alle gemeinsam Ping-Pong oder Tischkicker. 

Das Besondere an der Organisation ist aber ihr Non-Profit-Charakter. «Wir wollen möglichst günstige Preise anbieten, damit alle zu uns kommen können, die Unterstützung brauchen. Deshalb arbeiten wir kostendeckend. Einen Gewinn zu erwirtschaften, ist nicht unser Ziel», erklärt Stuck. Bei «Learn4Life» kostet eine Lektion derzeit 17.50 Franken – weniger als halb so viel wie bei den meisten anderen Nachhilfeorganisationen. 

Kontinuierliche Begleitung

Der günstigere Preis wirkt sich aber nicht nur auf den Geldbeutel der Eltern aus. Er hat auch Einfluss auf das Lernverhalten der Kinder. «Weil die einzelne Lektion nicht so teuer ist, kommen die Kinder nicht erst dann, wenn das Feuer schon zu gross ist», sagt Stuck. Das Konzept von «Learn4Life» ist eine kontinuierliche Lernbegleitung. «Es geht um Lernstrategien, Übung und Wiederholung, nicht darum, im letzten Moment noch auf einen Test hin zu pauken». 

An den Wänden der beiden Kellerräume der Pfarrei Guthirt hängen übergrosse Fotografien von Schweizer Bergen. Sie illustrieren das Lernkonzept, das hier verfolgt wird. «Wir sehen uns als Bergführerinnen und Bergführer», sagt Stuck. «Wir begleiten die Kinder immer mit dem Ziel, dass sie irgendwann alleine weiterlaufen können.»  

Einer Nachhilfe-Organisation, die sich am Wohl der Kinder orientiere, dürfe es nicht darum gehen, am Ende eines Schuljahres möglichst viele Schüler:innen zu haben. «Im Gegenteil: Wir freuen uns, wenn ein Kind uns nicht mehr braucht.» 

Grosser Bedarf an Nachhilfe 

Der Bedarf an Lernbegleitung ist gross. Seit der Gründung von «Learn4Life» vor 21 Jahren ist die Zahl der Kinder, die hier Unterstützung suchen, stetig gestiegen. Inzwischen kommen knapp 500 Schüler:innen regelmässig zur Nachhilfe. 60 bis 70 Prozent haben einen Migrationshintergrund. «Ansonsten kommen Kinder aus ganz unterschiedlichen Familien, die meisten aus der 5. bis 8. Klasse», berichtet Stuck. 69 Lehrende unterrichten die Kinder jeweils in Dreiergruppen. Zwei Geschäftsführer kümmern sich um den organisatorischen Ablauf. 

Angefangen hat «Learn4Life» klein und spontan: Lucien Bürki und Dominic Liechti, die Gründer der Organisation, waren Gruppenleiter bei der «Cevi»-Jungschar in Köniz. Die Kinder baten die beiden Studenten bei Lernproblemen immer mal wieder um Hilfe. 

Bürki und Liechti wollten das Freizeitprogramm am Samstagnachmittag aber nicht mit Nachhilfe belasten. Deshalb boten sie eine Lernunterstützung am Vormittag an, die sich rasch grosser Beliebtheit erfreute. Die «Cevi-Lernhilfe» war geboren und wurde seitdem immer weiter professionalisiert: 2011 bekam die Organisation den neuen Namen, die Verwaltung wurde digitalisiert, ein Online-Angebot und ein Feedback-System wurden entwickelt. 2023 öffnete der zweite Standort in Ostermundigen. Seit Kurzem ist die Organisation offizielle Partnerin der Stadt Bern. Für Schüler:innen, die eine Empfehlung ihrer Lehrperson erhalten, zahlt die Stadt 20 Wochen lang die Lernbegleitung bei «Learn4Life». 

Katholische Kirche Region Bern als grösster Sponsor 

Der Gründungsstandort in Köniz trägt sich seit 15 Jahren finanziell selbst. Für den neuen Standort Ostermundigen und für dessen Verwaltung braucht «Learn4Life» derzeit noch Unterstützung. Liechti, der inzwischen in den USA lebt, hilft der Organisation regelmässig mit privaten projektbezogenen Spenden aus. Der grösste Sponsor der Organisation ist jedoch die Katholische Kirche Region Bern. 

Sie förderte «Learn4Life» im Rahmen der Unterstützung von Projekten zur Berufsintegration durch «Bärner Härz» seit 2022 bereits mit rund 230‘000 Franken. Dank dieser Hilfe konnte die Organisation Computer, Tablets und Tastaturen anschaffen, den digitalen Zugang der Eltern zur An- und Abmeldung der Kinder ermöglichen und den stellvertretenden Geschäftsleiter Raphael Trüssel einstellen. Ausserdem darf «Learn4Life» die Räumlichkeiten der Pfarrei Guthirt kostenlos nutzen. Auf diese Weise kann das Team heute doppelt so viele Kinder beim Lernen begleiten wie noch vor vier Jahren. 

Soeben hat die Kirche eine Verlängerung ihrer Unterstützung zugesagt: Bis sich auch der Standort in Ostermundigen selbst trägt, kann «Learn4Life» noch einmal mit Fördergeldern von bis zu 60‘000 Franken rechnen. «Die Organisation leistet sehr gute Arbeit und hilft dabei, Chancengleichheit herzustellen», begründet Raphaël Spiga, Leiter Unternehmensentwicklung und Nachhaltigkeit bei der Katholischen Kirche Region Bern, dieses Engagement. 

Nicht erst in der Corona-Pandemie habe sich gezeigt, wie entscheidend der Lernerfolg von Kindern auch vom Elternhaus abhänge. Hier schaffe «Learn4Life» einen Ausgleich. «Ein Anliegen der Kirche ist es, schwächer Gestellte zu unterstützen. Nicht immer können wir das selbst tun, oft können andere das besser und professioneller.» 

Dritter Standort in Bern-West geplant

Für diese Einstellung auf Seiten der Kirche sei «Learn4Life» dankbar, sagt Stuck. «Es ist ein sehr gutes Miteinander, wir ziehen hier wirklich an einem Strang.» Davon profitiere nicht nur seine Organisation, ist er überzeugt: «Indem wir die Räume der Kirche nutzen, beleben wir die Pfarreien. So wird das soziale Engagement der Kirche sichtbar. Die Kinder gehen hier ein und aus – das ist indirekt auch ein Gewinn für die Kirche.» 

Um noch mehr Kindern im Raum Bern Unterstützung beim Lernen zu ermöglichen, ist die Eröffnung eines dritten Standorts geplant. Auch dieser wird voraussichtlich in kirchlichen Räumen eingerichtet. Zurzeit schaut Stuck gemeinsam mit der Pfarreileitung und der Gesamtkirchgemeinde Region Bern und Umgebung, wie sich die Kellerräume von St. Mauritius in Bern-West für das Lernangebot passend umgestalten lassen.