Trauer ist ein grosses Gefühl. Wenn sie einen ergreift, dann meist mit Haut und Haar. Zu trauern ist nicht das Gleiche, wie ein bisschen betrübt oder frustriert zu sein. Von Trauer erfasst zu werden, bedeutet häufig, den Boden unter den Füssen zu verlieren, nicht mehr ein noch aus zu wissen. Zu weinen, zu schreien oder erstarrt zu sein, keinen Appetit mehr zu haben, eine Leere in sich zu spüren.
«Vielen Menschen tut das Herz weh»
«Trauer wird auch im Körper wahrgenommen», sagt Christine Röthenmund. «Vielen Menschen tut wirklich das Herz weh.» Die 61-jährige Trauerbegleiterin und Systemische Beraterin leitet einmal im Monat das Trauercafé in Münsingen, gemeinsam mit der katholischen Theologin und Musiktherapeutin Judith von Ah.
Das Café gibt es als ökumenisches Angebot schon seit 25 Jahren. Es ist kostenlos und unverbindlich, anmelden muss man sich nicht. «Trauernde wissen häufig nicht, wie es ihnen am nächsten Tag zumute ist», sagt Röthenmund. Deshalb können die Menschen spontan kommen. Manchmal finden zehn Personen den Weg ins Kirchgemeindehaus, manchmal nur zwei oder drei, insgesamt mehr Frauen, aber immer auch Männer. Viele kommen jahrelang, einige von weit her. Alle haben einen geliebten Menschen verloren oder betrauern den Verlust einer Beziehung, des Arbeitsplatzes oder der eigenen Gesundheit.
Im Alltag hat Trauer häufig keinen Platz
«Trauer ist die normale Reaktion auf einen bedeutenden Verlust», schreibt die evangelische Theologin Kerstin Lammer in ihrem Buch «Trauer verstehen». «Sie ist keine Krankheit, keine Katastrophe, keine Fehlfunktion und kein Zeichen von psychischer oder charakterlicher Schwäche.»
Im Alltag allerdings habe Trauer heute häufig keinen Platz. Die Menschen seien zunehmend ungeübt mit Sterben und Tod, entsprechend würden Betroffene sozial immer weniger gestützt. Röthenmund teilt diese Beobachtung. «In einer Gesellschaft, die auf Sicherheit und gelingendes Leben ausgerichtet ist, haben es Trauer und Verlusterfahrungen schwer», meint sie. Auch deshalb gibt es das Trauercafé.
«Wir geben der Trauer Raum», sagt Röthenmund. Trauer ignorieren oder verstecken zu wollen, hält sie für keine gute Idee. «Wenn ich Gefühle zeigen darf, kann ich auch einen Umgang damit finden. Das betrifft das ganze Leben. Wenn ich lebendig trauern kann, kann ich mich auch lebendig freuen.»
Im Trauercafé gibt es immer eine Mitte mit einer Kerze, passend zur Jahreszeit oder zu einem Thema. Nach einem Input der Leiterinnen sprechen die Teilnehmer:innen gemeinsam in der Runde darüber. Danach tauschen sie sich bei einem Kaffee oder Tee untereinander aus. Es geht um grosse Fragen, um Vorstellungen von einem Leben nach dem Tod und den Umgang mit Gefühlen, aber auch um praktische Dinge, die Neugestaltung des Alltags, um hilfreiche Rituale, Bücher und Texte.
Trauer verändert sich, aber sie geht nicht einfach weg
«Wir hören einander aus dem Herzen heraus zu und lassen das, was die anderen sagen, unkommentiert stehen», beschreibt Röthenmund die Abmachung des Trauercafés. Wer selbst nichts sagen will, darf auch einfach zuhören. Und das, was gesagt wird, bleibt in der Gruppe, es wird nicht weitererzählt. «Es tut gut, zu merken, dass man nicht allein ist», sagt Röthenmund.
Und: «Trauer verändert sich. Wenn du das von jemandem hörst, der das selbst erlebt hat, tönt das anders, als wenn du es in einem Buch liest.» Ein Ziel des Cafés ist es, die Menschen im Umgang mit der Trauer zu begleiten. «Es geht darum, die Trauer zu leben und in den neuen Alltag zu integrieren», erklärt Röthenmund. Die Beziehung zum verstorbenen Menschen bleibe. Daher sei es wichtig, eine Vorstellung davon zu haben, wo er oder sie sich befinde. Das könne ganz nah bei einem selbst sein, in der Natur, an einem realen Ort oder auch in einer imaginativen Welt.
Die Beziehung endet nicht mit dem Tod
Trauerarbeit habe verschiedene Aspekte. Da sei zum einen die Beziehung zu dem geliebten Menschen. Diese ende nicht mit dem Tod, sie bestehe in einer anderen Form weiter. «Die Beziehung wird umgestaltet», sagt Röthenmund. «Es geht darum, sie zu pflegen, auch wenn es weh tut.». Dafür sei es hilfreich, sich klarzumachen, wie die Beziehung zu Lebzeiten war. Ob es noch schwierige Themen gibt, Schuldgefühle oder Wut, die anzuschauen sind.
Die Leiterinnen des Trauercafés bestärken die Trauernden darin, eigene Formen zu finden, um mit der verstorbenen Person in Verbindung zu bleiben. Auch die Trauerforschung kennt den Gedanken der «Continuing Bonds», einer bleibenden Verbundenheit, die von den Trauernden als hilfreich empfunden wird. Dabei geht es nicht darum, sich mit dem oder der Verstorbenen in eine Parallelwelt zurückziehen. Denn ein anderer Aspekt der Trauer ist das, was Röthenmund «Realisationsarbeit» nennt. «Dabei geht es darum, die Wirklichkeit zu begreifen und den Schmerz zu fühlen. Sich einzugestehen: ‹Auch wenn ich das Bild meiner Frau hier habe, ihr Bett ist leer. Ich vermisse sie.›»
Nicht nur die körperliche Nähe fehlt
Der Verlust eines geliebten Menschen geschieht auf mehreren Ebenen. Die körperliche Nähe fehlt, aber auch das Teilen einer gemeinsamen Geschichte und einer gemeinsamen Umwelt. Viele Trauererfahrungen sind für alle Menschen ähnlich. Trotzdem trauert jede:r anders, abhängig von der eigenen Persönlichkeit und Sozialisation, aber vor allem von der Art der gelebten Beziehung zu dem verstorbenen Menschen.
Die Einbindung in etwas Grösseres hilft
Gläubige oder ganz allgemein spirituelle Menschen hätten es leichter, einen Umgang mit der Trauer zu finden, meint Röthenmund. «Wenn ich mich einbinden kann in etwas Grösseres, wenn ich weiss, ich habe einen Boden, dann kann ich mich auf die Trauer einlassen.» Im Trauercafé sagten die Menschen immer wieder, dass ihr Glaube sie halte und bestärke. Das Trauercafé ist offen für alle Menschen, egal, ob gläubig oder nicht. Manchmal werden religiöse Texte oder Lieder gesungen, manchmal weltliche. «Ausserdem bringen wir immer eine gewisse Demut mit», sagt Röthenmund. «Wir hören zu und bestärken.» Denn wie sie den Verlust erlebten, was sie fühlten und bräuchten, wüssten nur die Trauernden selbst.
Trauercafé
Das Trauercafé findet einmal im Monat um 19.00 im reformierten Kirchgemeindehaus, Schlossstrasse 11 in Münsingen statt. Der nächste Termin ist der 18.11.
Die weiteren Daten erfahren Sie hier oder bei Christine Röthenmund, Telefon 079 579 47 58.