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Béatrice Acklin (2.v.l) diskutierte mit Samuel Schmid, Chef der Armee-Seelsorge, Lukas Amstutz, Präsident der Konferenz Schweizer Mennonit:innen, und NZZ-Redaktor Georg Häsler. Foto: Aurel Jörg

Wenn ein Opfer vergibt, keimt die Hoffnung auf Frieden

Am Freitagabend (24.10.) fand im Berner Münster ein Podium unter dem Titel «Frieden um jeden Preis?» statt. Es ging nicht um Idealismus, sondern um Zumutungen: Was bedeutet christliche Friedensethik in einer Zeit von Kriegen?


Das Kirchenschiff des Berner Münsters war gut gefüllt. Eingeladen hatte Liberethica, selbsternannte «ethische Denkfabrik», die im «Dialog mit Wirtschaft und Politik für die Freiheit» engagiert sei. Auf dem Podium sassen der NZZ-Redaktor Georg Häsler, der Präsident der Konferenz der Schweizer Mennonit:innen Lukas Amstutz und Samuel Schmid, Chef der Armee-Seelsorge – Béatrice Acklin, Geschäftsführerin der Denkfabrik, moderierte. Eingeführt wurde die Diskussion vom Pfarrer der reformierten Kirchgemeinde Berner Münster, Beat Allemand.

Ein Korrektiv, kein Rezept

Rundherum wird von Aufrüstung gesprochen, davon, dass Europa sich schützen müsse. Die Zeit der Friedensdividende ist vorbei – es wird wieder Wehrhaftigkeit gefordert. «Was sagt eigentlich das Christentum, Religion der Feindesliebe, dazu?», fragt Allemand und macht deutlich: Wer über Sicherheit spreche, dürfe die Würde des Gegenübers nicht aus dem Blick verlieren. Auch wenn Liebe und Feindesliebe als zentrale Prinzipien christlicher Ethik keine direkten politischen Blaupausen lieferten, würden sie den Diskurs justieren, als zentraler Leitstern fungieren.

Seelsorge im Ernstfall

Wenn Krieg geführt wird, dann sind da Menschen, die anderen ihr Leben nehmen, Familien, die ihre Väter und Töchter verlieren, Kinder, die verwaisen. Samuel Schmid, oberster Seelsorger der Schweizer Armee, rückte den Blick deshalb auf die Soldat:innen, die den Ernstfall tragen müssen. Wer Militäreinsätze diskutiere, müsse auch die seelischen Verwerfungen bedenken. Die Armee biete nun wieder Lehrgänge an, die das Unaussprechliche beim Namen nennen: «töten und getötet werden». Er nannte drei Pfeiler seiner seelsorgerlichen Arbeit: Nächstenliebe im Dienst, das Friedens-Postulat und Vergebung als Möglichkeit des Neuanfangs – auch nach Gewalt. 

Gewaltfreiheit als Programm

Der überzeugte Mennonit und Pazifist Lukas Amstutz hielt dagegen – nicht im Sinn einer Gegenposition, sondern als Präzisierung, was Widerstand sein kann. In der täuferisch-mennonitischen Tradition sei Gewaltfreiheit Programm – und Frieden müsse gelernt werden: Deeskalation trainieren, Schutzräume schaffen, gewaltfreien Widerstand professionalisieren, humanitäre Korridore öffnen. Pazifismus, so sein Punkt, sei keine Schönwetterveranstaltung. Gerade asymmetrische Kriege machten diese Instrumente noch relevanter. Entscheidend sei, sie nicht zu romantisieren. Gewaltfreiheit brauche Planung, Ressourcen und vor allem Ausbildung – sonst bleibe sie symbolisch.

Der Preis der Illusionen

NZZ-Redakor Georg Häsler erinnerte an 1989, den Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhangs: Damals habe der Westen vorschnell das «Ende der Geschichte» ausgerufen – und Sicherheit auf Ökonomie – «Wandel durch Handel» - reduziert sowie robuste Friedenssicherungen abgebaut. Die Gegenwart entlarve dieses Vorgehen als Selbsttäuschung. Orientierung biete ihm der evangelische Pfarrer und Kämpfer für Gewaltlosigkeit, Dietrich Bonhoeffer: Schuld lässt sich in Konflikten nicht völlig vermeiden; Verantwortung zeigt sich dort, wo man der Versuchung, Gewalt zu idealisieren, widersteht.

Auffällig war, wie realpolitisch Christentum an diesem Abend wurde. Friedensethik erschien nicht als wohlfeiler Idealismus, sondern als reale Alternative zu martialischem Sprech und Alarmismus. Eine Herausforderung, die aber verspricht, die Welt dort menschlicher zu machen, wo Würde in Frage gestellt wird. Darin waren sich alle auf dem Podium einig. Und verurteilten die Agitation der Kirche in Russland – unter anderem das Segnen von Soldat:innen, die in Todeswellen an der Front verheizt werden – unisono als pure Blasphemie. Einigkeit bestand auf dem Podium auch darin, dass sich christliche Friedensethik darin konkretisiert, dass Vergebung durch die Opfer der Anfang von Frieden sein kann.