Ein kleiner Kirchenraum in Tunis: Sonnenlicht fällt durch bunte Glasfenster, die Wände sind mit schlichten Kreuzen geschmückt, der Duft von Räucherwerk liegt in der Luft. Frauen in leuchtenden Kleidern singen, tanzen, heben ihre Hände, lachen und weinen zugleich. Zwischen ihnen steht Marie, eine ivorische Pastorin, deren klare Stimme die Gemeinde trägt. Diese Szene aus «Promis le ciel», gezeigt beim Zurich Film Festival (ZFF) im September, eröffnet den Blick auf ein Leben fern von Heimat, Familie und Sicherheit, getragen von Musik, Gebet und gegenseitiger Fürsorge.
«Über weibliche Migration wird kaum gesprochen»
Der Film erzählt die Geschichte schwarzer Frauen, die innerhalb Afrikas migrieren und dabei geografische und gesellschaftliche Hürden überwinden. «Die Mehrheit afrikanischer Migrantinnen flüchtet gar nicht nach Europa, sondern in ein anderes afrikanisches Land. Über die weibliche Migration wird kaum gesprochen. Wenn von afrikanischen Flüchtenden die Rede ist, geht es meistens um Männer», sagt die französisch-tunesische Regisseurin und Produzentin Erige Sehiri.
«Der Film soll zeigen, dass Migration nicht die Identität einer Person definiert. Migrantin zu sein, bedeutet nicht, wer man ist, sondern wohin man unterwegs ist. Gleichzeitig wollte ich sichtbar machen, dass auch innerhalb Afrikas rassistische Strukturen existieren – oft als Folge europäischer Politik.»
Im Zentrum von Sehiris zweitem Spielfilm steht die fragile Hausgemeinschaft um Marie, eine ehemalige Journalistin mit Überzeugungen. Als Pastorin übernimmt sie Verantwortung für die ivorischen Frauen, die nach Tunesien flüchten. Deshalb hat sie neben Naney, einer jungen Mutter, auch die Studentin Jolie aufgenommen. Als die vierjährige Kenza, eine Schiffbruchsüberlebende, zu ihnen stösst, spiegelt diese die Traumata, Sehnsüchte und Hoffnungen der Frauen wider.
Marie wird mit ihrer eigenen Vergangenheit konfrontiert, Jolie erkennt sich in Kenza wieder, Naney behandelt das Mädchen wie ihr eigenes Kind. «Jede der Frauen erkennt in Kenza etwas, das sie selbst verloren hat», erklärt Sehiri.
Kirche als sozialer und spiritueller Schutzraum
Wie ein Herzschlag zieht sich Musik durch den Film – rhythmisch, lebendig, modern, mit elektronischen Rock- und afrikanischen Einflüssen. Sie reflektiert die Stärke der Frauen, ohne melodramatisch zu wirken. Auch traditionelle Kirchenlieder werden dokumentarisch integriert, betonen Hoffnung und Gemeinschaft. Die Kirche fungiert als sozialer und spiritueller Schutzraum: Frauen finden hier Rat, Schutz und Gemeinschaft, organisieren Schulungen und helfen Geflüchteten.
Viele Gemeinden arbeiten wie NGOs, werden aber kriminalisiert, weil sie Menschen ohne Papiere beistehen. Sehiri betont: «Es gibt ivorische Pastorinnen, die nicht offiziell ordiniert sind, aber ihre Gemeinden aufbauen und sich bewähren müssen. Polizeirazzien und Vorwürfe der ‹Beihilfe zur illegalen Migration› sind ihre Realität.»
2019 trat in Tunesien zwar ein Anti-Rassismus-Gesetz in Kraft, doch die Situation verschlechterte sich damit: Immer mehr Menschen werden diskriminiert und verhaftet, oft aufgrund ihrer Hautfarbe. Sehiri hat selbst erlebt, wie afrikanische Frauen systematisch benachteiligt werden. «Es passiert Studierenden, Journalistinnen, Arbeiterinnen, und es ist bitter, das zu sagen», erzählt sie im Gespräch mit dem «pfarrblatt». Ihr Film «Promis le ciel» zeigt, dass Glaube Frauen schützt und verbindet.
Kampf gegen patriarchale Strukturen
Die österreichisch-schweizerische Co-Produktion «Girls & Gods», die ebenfalls am Zurich Film Festival gezeigt wurde, blickt aus einer europäischen Perspektive auf die Rolle des Glaubens. Sie fragt, wie spirituelle Strukturen Frauen zugleich befreien und begrenzen können. Der Dokumentarfilm von Arash T. Riahi und Verena Soltiz begleitet die ukrainische Aktivistin Inna Shevchenko, Mitbegründerin des feministischen Kollektivs «Femen», die gegen patriarchale Strukturen innerhalb monotheistischer Religionen kämpft.
Ihre zentrale Frage lautet: Wie kann eine Frau Selbstbestimmung fordern – in einem System, das sie unterdrückt? Shevchenko trifft Christinnen, Musliminnen, Jüdinnen und Ordensfrauen, die ihr zeigen, dass Religion nicht nur Machtstrukturen reproduzieren, sondern auch Raum für Widerstand und Selbstbehauptung bieten kann.
Die verschiedenen Frauengruppen hinterfragen traditionelle Rollenbilder, interpretieren religiöse Texte neu und nutzen ihre Glaubensgemeinschaften als Mittel zur Selbstermächtigung. Vielfalt religiöser Erfahrungen Besonders eindrucksvoll ist ein Gespräch mit feministischen Theologinnen in Frankreich, die eine Frauenbibel verfasst haben: Sie transformieren religiöse Traditionen, sehen ihren Glauben als Akt des Widerstands gegen Unterdrückung und betonen, dass Glaube und feministische Überzeugungen sich nicht widersprechen.
Shevchenko begegnet diesen Frauen mit Respekt und Interesse, auch wenn die Diskussionen mitunter hitzig werden. Die Dialoge verdeutlichen die Vielfalt religiöser Erfahrungen und zeigen, dass Feminismus und Religion sich ergänzen können. Die Szene unterstreicht, dass Frauen innerhalb ihrer Traditionen aktiv mitgestalten, religiöse Strukturen hinterfragen und weiterentwickeln können, um sie inklusiver und gerechter zu machen.
Sowohl die Frauen in Tunis als auch jene, die Shevchenko begleitet, demonstrieren, dass Glaube Handlungsspielraum bietet. Beide Filme zeigen, dass Religion mehr ist als Dogma: Sie kann Hoffnung, Menschlichkeit und Solidarität vermitteln. Die Filme illustrieren, wie Frauen Glauben, Feminismus und Selbstbestimmung verbinden. Sie fordern dazu auf, den Blick auf weibliche Stärke, Gemeinschaft und spirituelle Ressourcen zu richten. Am Ende bleibt die Botschaft klar: Glauben, gelebt von Frauen, kann ein Raum sein für Freiheit, Mut und Solidarität – und Kraft geben, eigene Wege zu gehen, auch gegen Widerstände.
«Promis le ciel» kommt am 22. Januar 2026 in die Deutschschweizer Kinos, «Girls & Gods» hat aktuell noch keinen Schweizer Starttermin.
Gewinner Preis der Zürcher Kirchen
Mit dem diesjährigen Filmpreis der Zürcher Kirchen wurde am Zurich Film Festival (25.9.–5.10.2025) der Dokumentarfilm «La vie après Siham» von Namir Abdel Messeeh ausgezeichnet. Der Preis würdigt die sensible Darstellung von Trauer und Familie, wie die katholische Kirche im Kanton Zürich mitteilt.