Wozu braucht es einen Kirchgemeindeverband?
Esther Richard: Als ökumenischer Kirchgemeindeverband sind wir eine starke kirchliche Stimme gegenüber den staatlichen Behörden und nach aussen. Wir vertreten die Kirchgemeinden aber auch gegenüber den Landeskirchen und Berufsverbänden. Ausserdem engagieren wir uns in der Schulung von Behördenmitgliedern.
Aktuell will der freisinnige Kantonsrat Carlos Reinhard die Kirchensteuer für Unternehmen für freiwillig erklären. Was tut der KGV hier konkret?
Richard: Carlos Reinhard argumentiert, den KMU’s gehe es schlecht, vor allem im Berner Oberland. Dem halten wir entgegen: Diese Rechnung geht nicht auf. Wenn die Kirchgemeinden weniger Kirchensteuern juristischer Personen erhalten, können sie auch weniger investieren.
Woher wissen Sie, dass diese Rechnung nicht aufgeht?
Richard: Aktuell erhalten Berner Kirchgemeinden gut 40 Millionen Kirchensteuern juristischer Personen. Wir sensibilisieren die Politik dafür, dass Kirchgemeinden in der Regel die KMU’s vor Ort berücksichtigen, also bei Anlässen die Bäckerei oder das Blumengeschäft vor Ort, aber auch die lokalen Handwerkergeschäfte bei Liegenschaftssanierungen.
Neun Kirchgemeinden haben uns ihre Rechnungen zur Verfügung gestellt. Aus diesen Zahlen haben wir den kantonalen Durchschnitt der Finanzflüsse berechnet. Es zeigt sich, dass die Kirchgemeinde vor Ort mehr Geld in KMU’s investierten, als diese in Form von Kirchensteuern bezahlen. Durch die territoriale Zuordnung fliesst das Geld also wieder zurück.
Sie haben diese Untersuchung in einer Broschüre zusammengefasst. Wer bekommt diese?
Richard: Das ist ein Argumentarium gegenüber dem Kanton im Rahmen der offiziellen Konsultationsantwort. Darüber hinaus motivieren wir unsere Mitglieder, den Kontakt mit ihren Grossräten zu suchen. Sie sollen ihnen aufzuzeigen, was ihre Kirchgemeinden im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Leistungen alles leisten. Viele Parlamentarier:innen verbinden mit Kirche vor allem Gottesdienste, Beerdigungen oder Taufen und sagen: «Damit habe ich nichts am Hut». Ihnen ist zu wenig bewusst, dass die Kirchgemeinden auch sozial und kulturell engagiert sind. Dabei gibt es für die Kirchensteuern von Unternehmen eine negative Zweckbindung: Dieses Geld darf nicht für kultische Zwecke eingesetzt werden.
Was wären die Folgen, wenn das Postulat angenommen wird?
Richard: Im Kanton Neuenburg, wo diese Freiwilligkeit bereits Realität ist, sieht man, dass noch 5 Prozent der Unternehmen Kirchensteuern bezahlen. In Graubünden gibt es mancherorts Mäzen:innen: Eine grosse Firma, oder Privatperson sponsert beispielsweise eine Orgelrenovation. Diese möchte dann aber auch mit ihrem Logo sichtbar sein. Das geht für uns als öffentlich-rechtliche Institution nicht.
Welche Themen diskutiert der KGV mit den Landeskirchen?
Richard: Auf reformierter Seite waren wir involviert in der Frage der Residenzpflicht. Diese sah vor, dass pro Kirchgemeinde eine Pfarrperson im Pfarrhaus wohnen muss. Das führte immer wieder zu Problemen bei Stellenbesetzungen, etwa weil das Gebäude schon alt und darum nicht attraktiv war, weil die Abgrenzung zum Familienleben schwierig war oder weil eine einzelne Person in einem grossen Haus wohnen musste. Mit einer breiten Umfrage haben wir die Meinung unserer Mitglieder eingeholt, auf welche sich der Synodalrat bei der Teilrevision der Vorordnung unter anderem abstützte.
Sie beraten auch Kirchgemeinden. Was für Rat holen diese bei Ihnen?
Richard: Meistens geht es um personelle Fragen, etwa bei Konflikten. Sie kommen mit rechtlichen Fragen oder solche zum Finanzplan, zum Lohn: «Wir haben einen neuen Organisten, wie müssen wir diesen einstufen?»
In der katholischen Kirche ist Missbrauchsprävention ein grosses Thema. Von pastoraler Seite höre ich, das Thema sei in den Kirchgemeinden nicht gleichermassen im Bewusstsein. Teilen Sie diese Einschätzung?
Richard: Wie sehr das in den Kirchgemeinden institutionalisiert ist, weiss ich nicht. Als Verband sind wir da nicht eingebunden. In meiner Zeit als Kirchgemeindepräsidentin von Spiez war Missbrauchsprävention schon 2007 ein Thema. Wir mussten damals alle die Dokumente des Vereins «mira» Prävention sexueller Ausbeutung im Freizeitbereich unterschreiben und hatten eine Ansprechperson ausserhalb der Kirchgemeinde, wenn wir etwas beobachtet hätten oder selber in Bedrängnis gekommen wären.
Was leistet der KGV in Sachen Behördenschulung?
Richard: Wir haben eine gute Zusammenarbeit mit dem kantonalen Bildungszentrum für Wirtschaft und Dienstleitung. Dort gibt es unter anderem Lehrgänge für Gemeindebehörden. Einige Weiterbildungsmodule bieten wir mit ihnen gemeinsam an. Es gibt Module in Finanzplanung oder Datenschutz, einen Lehrgang für Kirchgemeindesekretariate, wo es auch um Fragen des kirchlichen Rechts und der Kommunikation geht.
Wie sieht die Zusammenarbeit mit dem BWD konkret aus?
Richard: In Finanzfragen konnten wir unsere Referent:innen einbringen, im Lehrgang für Kirchgemeindesekretariate unterrichten hervorragende Referenten, die auch für Schul- und Gemeindesekretariate zuständig sind. Das hilft einerseits, aus der Kirchenecke wegzukommen und gleichzeitig die Einwohnergemeinden für kirchliche Themen zu sensibilisieren.
Bern hat 2022 ein Digitalisierungsgesetz eingeführt. Was bedeutet das für die Kirchgemeinden?
Richard: Eine grosse Herausforderung! Um die Kirchgemeinden zu unterstützen, bieten wir ihnen eine einheitliche GEVER-Lösung (elektronische Geschäftsverwaltung) an. Dafür haben sich 112 Kirchgemeinden angemeldet. Diese kommen so zu günstigeren Lizenzkonditionen. Inhaltlich geht es um Themen wie Protokollverwaltung, Kirchgemeindeversammlungen oder Personaldossiers. Wir bauen eine klare, einheitliche Ordnerstruktur auf, damit die Zusammenarbeit unter den Kirchgemeinden vereinfacht wird. Wenn beispielsweise kurzfristig eine Sekretärin ausfällt, kann jemand aus einer anderen Kirchgemeinde rasch und unkompliziert einspringen, weil sie sich auskennt.
Viele Kirchgemeinden müssen fusionieren, weil es an Behördenmitgliedern fehlt. Ist das für den KGV Thema?
Richard: Fusion ist immer ein schwieriges Wort. Die Gemeindeautonomie ist sehr stark, man möchte vor Ort als Kirchgemeinde sichtbar sein. Wir versuchen, die Mitglieder für ressourcenorientierte Zusammenarbeit zu sensibilisieren, um beim stark zunehmenden Behörden- und Fachkräftemangel die Professionalität zu wahren. Das ist ein wichtiger Faktor.
Ökumenischer Kirchgemeindeverband
Der Kirchgemeindeverband des Kantons Bern (KGV) wurde 2003 gegründet. Ihm gehören römisch-katholische, evangelisch-reformierte und christkatholische Kirchgemeinden an. Aktuell sind dies 233 von total 246 Kirchgemeinden . Der Verband setzt sich für gute Rahmenbedingungen der Kirchgemeinden ein, indem er in Expert:innengruppen oder bei der Vorbereitung von Erlassen mitwirkt, an Vernehmlassungen teilnimmt sowie die Entscheide von staatlichen und kirchlichen Behörden beobachtet. Der KGV pflegt Kontakte zu den drei Landeskirchen. Im Einzelfall betreibt der Verband auch Lobbying auf allen Stufen von Gesetzgebungsprozessen.