Sylvia Stam
Zwei Bischofssprecherinnen sind nach je zwei Jahren nicht mehr im Amt. Ist Kirchenkommunikation ein Verschleissjob?
Giuseppe Gracia*: Kirchenkommunikation ist sicher keine gemütliche Arbeit. Man baut eine Brücke zwischen verschiedenen Welten. Das ist anstrengend und es gibt Fettnäpfchen, weil die einzelnen Akteure verschiede Deutungen der Welt haben.
Was macht den Job denn so ungemütlich?
Giuseppe Gracia: Es heisst, die Kirche sei für die Welt, aber nicht von der Welt. Das bedeutet, sie muss in der Welt wirken, ohne selber weltlich zu werden. Das bedeutet für die Kommunikation: Man will von der Welt verstanden werden, auch wenn die Botschaft nicht aus der Welt kommt, sondern von Gott. Eine grosse Spannung. Schon eine Brücke zwischen zwei Menschen ist nicht einfach, denn jeder ist anders und muss aus sich herauskommen, um über die Brücke zu gehen. Ungleich grösser ist die Herausforderung bei einer Brücke zwischen Himmel und Erde.
Was sind denn in der kirchlichen Kommunikation typische Fettnäpfchen?
Giuseppe Gracia: In der Kirchenkommunikation ist die medialisierte, digitalisierte Öffentlichkeit eine besondere Herausforderung: Wenn Sie global kommunizieren wie der Vatikan, gibt es je nach Kultur Verzerrungen. Wenn Millionen von Menschen uns zuhören und ihre Interpretation dieses Gesprächs gleichzeitig aufschreiben, dann ergeben sich automatisch Verzerrungen, weil jeder etwas anderes unter gewissen Begriffen versteht.
Zwei aktuelle Bischofssprecherinnen sagen, nach der Publikation der Missbrauchsstudie sei die Kommunikation deutlich schwieriger geworden. Wie kommuniziert man zu einem Thema, das per se schon negativ besetzt ist?
Giuseppe Gracia: Das ist der klassische Krisenkommunikationsfall. Hier genügt es nicht, die Wahrheit zu sagen, offen und transparent zu sein. In der Krise zählt die Glaubwürdigkeit des Absenders, der Absenderin. Der Inhalt allein genügt nicht. Wenn der Absender nicht glaubwürdig ist, weil er zum Beispiel selbst vertuscht hat, nur die halbe Wahrheit gesagt oder das Eigeninteresse höher gewichtet hat als die Fakten, dann macht das die Kommunikationsarbeit sehr schwierig.
Kann die Kommunikation das überhaupt lösen?
Giuseppe Gracia: Nein, in diesem Fall müsste die Führung für die Kommunikation eine Struktur aufbauen, damit der Absender wieder an Glaubwürdigkeit gewinnt. Wenn es zum Beispiel auf der Geburtenabteilung eines Krankenhauses ein Virusproblem gibt und Babys erkranken, nützt es nichts, wenn die Chefärztinnen und -ärzte auftreten und sagen: «Wir haben das Problem gelöst, alle Kinder sind jetzt wieder gesund.» Da müsste eine unabhängige Instanz wie der Schweizer Hebammenverband sagen: «Wir haben die Babys in diesem Krankenhaus untersucht, mit den Hebammen vor Ort gesprochen. Das Problem ist wirklich wieder gelöst.» Die Glaubwürdigkeit dieses Absenders bewirkt, dass die Menschen Vertrauen fassen.
Wer könnte in der kirchlichen Missbrauchskrise eine solche Instanz sein?
Giuseppe Gracia: Die Bischöfe selbst können das nicht sein, sie sind in einer Führungsposition und in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass die meisten in irgendeinen Fall involviert oder in Vertuschung verstrickt sind. Auch der Staat hat eigene Interessen. Es bräuchte ein unabhängiges Gremium aus Betroffenenorganisationen, das eigens für diesen Zweck zusammengesetzt wird: Wenn ein Missbrauchsfall bekannt wird, müssten sie in die Aufarbeitung integriert werden und Einsicht in die Dokumente bekommen. Sie könnten gegenüber den Medien bestätigen, dass ein Fall sauber aufgearbeitet wurde.
Sehen Sie Ansätze, die in diese Richtung gehen?
Giuseppe Gracia: Mir sind keine bekannt. Es gibt Präventionsbeauftragte in den Diözesen, aber die sind nicht unabhängig, da sie vom Bistum oder den Landeskirchen bezahlt werden.
Über den kranken Papst, das Konklave und die Einsetzung des neuen Papstes haben weltliche Medien tagelang berichtet. Wie erklären Sie sich dieses Interesse an der Kirche in säkularen Zeiten?
Giuseppe Gracia: (lacht) Als Katholik freue ich mich über diese Aufmerksamkeit. Ich kenne tatsächlich keine vergleichbare Institution, über die jeden Tag weltweit so ausführlich berichtet wird, obwohl viele Medien und Politiker gleichzeitig immer betonen, dass sie die katholische Kirche ablehnen, dass diese Kirche irrelevant für die Postmoderne geworden ist.
Woran kann das liegen?
Giuseppe Gracia: Das muss etwas mit der Sakramentalität der Kirche, mit Gott zu tun haben. Unsere Gesellschaft ist es gewohnt, sich alles verfügbar zu machen durch Abstimmungen oder Konsens. Und dann kommt diese seltsame Kirche, die sagt: «Nein, es gibt Dinge wie das Ehesakrament, die Priesterweihe oder die heilige Kommunion, die sind unverfügbar, die können durch keine Abstimmung und keine Regierung der Welt verändert werden.» Das ist ein Ärgernis, weil es nicht in unsere Zeit passt. Und gleichzeitig ist das offensichtlich ein Faszinosum.
Können Sie das konkretisieren?
Giuseppe Gracia: Nehmen Sie den neuen Papst: Er kommt auf die Loggia und spricht als erstes von Frieden und von der Auferstehung, zwei Kernelemente des Christentums. Und dann wird das überall geschrieben, in allen Sprachen, es erscheint in der Tagesschau. Wann berichtet die Tagesschau schon über die Auferstehung? Offensichtlich hat das etwas mit den Menschen zu tun. Da ist eine Sehnsucht nach Frieden, nach wahrer Liebe, die stärker ist als der Tod.
Was meinen Sie mit Sakramentalität?
Giuseppe Gracia: Die Sakramentalität der Kirche bedeutet: Sie kommt von Gott und ist nicht verfügbar. Der König von England kann morgen sagen: «Wir schaffen das Königshaus ab». Im Fürstentum Liechtenstein kann man über diese Staatsform abstimmen. Der Papst jedoch kann nicht sagen: «Wir schaffen die römisch-katholische Kirche ab und machen daraus eine protestantische Kirche 2.0., von unten nach oben.»
Warum nicht?
Giuseppe Gracia: Weil die Kirche von Gott kommt. Ob man das glaubt oder nicht, ist eine andere Frage. Aber die katholische Kirche ist so konstituiert. Diese Art von Kirche ist eine besondere Reizfigur. Wenn sich das verbindet mit einem charismatischen Papst, wie es mir jetzt der Fall zu sein scheint, dann ist das für die Medien sehr attraktiv.
Wo sehen Sie Verbesserungspotenzial für die kirchliche Kommunikation?
Giuseppe Gracia: Papst Leo XIV. macht es vor. Er spricht vom ersten Augenblick nicht von der Institution Kirche. 90% seiner Aussagen betreffen die Welt: die Frage des Friedens, der Gerechtigkeit, der Medien oder der Künstlichen Intelligenz. In der Predigt anlässlich seiner Amtseinsetzung sagte er: «Wir müssen verschwinden, damit Christus wieder Platz bekommt.» Das hat mich gefreut. In den letzten Jahren standen Fragen im Vordergrund, wie die Kirche sein müsse, wie sie sich organisieren müsse, wer wann eine Synode hält und so weiter. Das sind wichtige Fragen. Aber für die Weltöffentlichkeit ist das, was die Welt selbst betrifft, viel relevanter.
*Giuseppe Gracia war Sprecher der Bischöfe Kurt Koch und Vitus Huonder. Heute ist er als Autor, Journalist und Kommunikationsberater tätig.