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Glaube zeigt sich auch im Spiel – fair, gemeinsam und mit offenem Herzen. Foto: Fire#y (KI)

Christlich Sport treiben

Die Art, wie wir Sport treiben − ehrgeizig, fair oder teamorientiert − spiegelt unsere Werte wider. Sport und Ethik liegen nah beieinander.


Es ist Winter 1929. Im tief verschneiten Davos treffen sich die wichtigsten Philosophinnen und Philosophen der Zeit. Im Mittelpunkt des Geschehens zwei Giganten mit gegensätzlichen Standpunkten: Ernst Cassirer und Martin Heidegger, der gerade mit seinem Buch «Sein und Zeit» Furore gemacht hat. Wie Wolfram Eilenberger in seinem spannenden Sachbuch «Zeit der Zauberer» detailliert zeigt, findet der Showdown zwischen den beiden jedoch gar nicht so sehr in spannenden Diskussionen und geschliffenen Vorträgen statt, sondern abseits des Hotels auf der Skipiste. 

Dort schart der begeisterte Skisportler Heidegger nämlich seinen Jüngerkreis um sich, und zeigt mit seinem Sport sinnbildlich, wofür seine «existenzielle» Philosophie steht: Für ein Leben im vollen Bewusstsein der Gefahr und sogar des Todes, von dem her das Leben seinen eigentlichen Sinn erhält. Cassirer dagegen, der kühle und weltmännische Denker, verkühlt sich rasch in der ihm ungewohnten Bergwelt und liegt fiebrig über Tage im Bett. 

Diese Episode mag auf den ersten Blick amüsant, aber nur wenig interessant erscheinen. Immerhin geht es hier bei diesen Artikeln doch um ernsthafte Glaubensfragen und nicht um so etwas triviales wie Sport! Am Beispiel Heideggers lässt sich jedoch schön zeigen, dass auch der Sport untrennbar mit Fragen der Ethik und sogar mit Fragen des Glaubens verbunden ist. 

Denn mit der Art der sportlichen Betätigung sind bestimmte Werte und Einstellungen verbunden, die auf die Persönlichkeit ausstrahlen – und umgekehrt: Wie ein Sport ausgeübt wird, hängt davon ab, wer wir sind und wie wir uns selbst verstehen – als Ehrgeizlinge oder als bewegungsfreudige Teamplayer? Als Hasardeure oder als respektvolle Zeitgenossen? 

 


Zugespitzt lässt sich jedenfalls durchaus sagen, dass der Sport zu einer Nagelprobe persönlicher Überzeugungen und Haltungen werden kann, weil wir in unserem Alltag durch ihn immer wieder mit ethischen Herausforderungen in Kontakt kommen: Grätsche ich bei einem kollegialen Fussballspiel meinem Gegenspieler in die Beine, um noch an den Ball zu kommen? Benutze ich leistungssteigernde Mittel, um das für den Sieg notwendige Quäntchen mehr als meine Wettbewerber:innen aus meinem Körper herausholen zu können? 

Der Weg zu einer Sportethik mit ihrer Forderung nach Fairness und Respekt liegt also gar nicht so fern, wie es zunächst den Anschein macht. Und selbst explizit religiöse Verankerungspunkte einer Sportethik werden schnell greifbar, denn es sind ja auch unsere (christlichen) Glaubensüberzeugungen, die unseren Charakter und unser Selbstbild mitbestimmen. Kurz auf den Punkt gebracht: Dass und wie wir Sport treiben, ist auch durch unsere (Glaubens-)Überzeugungen mitbestimmt. 

Vielleicht werden Sie jetzt stutzig, denn mit dem Christentum verbindet man nun nicht automatisch eine besondere Liebe zum Sport. Weder wird im Neuen Testament von Fussball spielenden Jüngern berichtet, noch dürfen wir annehmen, dass der berühmte Anti-Sport-Slogan Jesu’ («Die Letzten werden die Ersten sein») in Sportlerkreisen für mehr als ironisch hochgezogene Augenbrauen sorgen dürfte. 

Und auch im Rückblick auf 2000 Jahre Christentumsgeschichte denken wir sicher eher an Phasen starker Leibfeindlichkeit mit Askese und sexuellen Enthaltungsgeboten als dass die sportliche Pflege des christlichen Körpers einmal besonders im Vordergrund gestanden hätte. Aber schauen wir einmal genauer hin. 

Von der Olymiade bis zur frühen Christenheit

Sportliche Betätigungen sind in der Antike ganz eng mit religiösen und rituellen Vorstellungen und Praktiken verbunden. Das zeigt sich exemplarisch bei den Olympischen Spielen in Griechenland. Bei ihnen standen der Wettkampf und das sportliche Kräftemessen im Mittelpunkt – aber eingerahmt  waren sie durch Feierlichkeiten, die der Ehre der Götter (den «Olympiern««) dienen sollten. Die Griechen legten schliesslich soviel Wert auf den Sport, dass irgendwann für sie ein religiöses Fest ohne sportlichen Wettkampf gar nicht mehr vorstellbar war. 

Sport diente religiösen Zwecken, wurde aber natürlich auch als Charakterschule verstanden: Erwartet wurde von den Sportler:innen eine tugendhafte, elegante und auf Exzellenz ausgerichtete sportliche Ausübung – all das, was wir heute unter dem Begriff der Fairness oder des Fairplay verstehen würden. Die Sieger der Wettkämpfer erhielten einen Kranz, wurden aber in ihrer Heimat hofiert und mit Vergünstigungen und Preisen überhäuft; Kritiker monierten denn auch, dass die Gier nach diesen materiellen Preisen den eigentlichen Charakter des Sports zerstören würde – Diskussionen, die wir heute genauso führen wie damals, wenn die Spitzengehälter von Spitzensportlern diskutiert werden. 

In den Jahrhunderten vor der Zeitenwende entstehen Gymnasien, in denen sportliche Betätigung ein obligatorischer Bestandteil ist; die Sorge um den eigenen sportfähigen Körper erstreckt sich schliesslich über die sogenannte Diätetik sogar auf die Ernährung. Nebenbei: Man hat lange gedacht, dass diese Wertschätzung des Sports eine rein griechische Angelegenheit gewesen sei. Diese Ansicht ist mittlerweile überholt – man weiss heute, dass auch in den anderen Hochkulturen des Mittelmeerraums der sportliche Wettkampf hochgeschätzt wurde; und auch dort hatte er eine stark religiös geprägte Funktion inne. 


Das römische Reich übernahm später die Wettkämpfe Griechenlands, die meisten Sportarten waren den Römer:innen aber schlicht zu langweilig; es sind die Wagenrennen, Tierhatzen und Gladiatorenkämpfe, die das römische Blut in Wallung bringen – sehr zum Nachteil der frühen Christ:innen, die bei diesen unmenschlichen Veranstaltungen ihr Leben verlieren. 

Mag die Theologie keinen Sport?

Gegen die oben bereits angedeutete Intuition einer Sportfeindlichkeit des Christentums ist es nun aber keineswegs so, dass Christ:innen Leibesübungen rundheraus ablehnen würden. Paulus greift in seinen Briefen sogar wie selbstverständlich auf «typische» Metaphern des Sports zurück: Der Einsatz für die Frohe Botschaft braucht «viel Kampf» von allen, die Christus nachfolgen (Phil 1,29f); diese sind die «Mitkämpfer» in den von ihm gegründeten Gemeinden. 

Wie bei den Olympischen Spielen gibt es dabei auch Preise erringen, hier wie dort allerdings nur ideeller Natur: Den «Kranz der Gerechtigkeit“ (2 Tim 4,8). Diese Bilder des christlichen Wettkampfs justiert Paulus dort behutsam nach, wo die eigene Leistung zu sehr betont wird: «So liegt es nun nicht an dem Wollenden und auch nicht an dem Laufenden, sondern an dem sich erbarmenden Gott» (Röm 9,16). Das ist aus christlicher Sicht sehr gut nachvollziehbar: Der Erfolg in weltlichen Dingen, auch beim Einsatz für das Evangelium, beruht immer auf der Gnade Gottes, die dieser seinen Geschöpfen überreich schenkt.

Dass sportliche Wettkämpfe für die Christ:innen immer mehr in Misskredit gerieten, hat zwei Gründe: Zum einen ist natürlich deren traditionelle Verbindung zur religiösen Verehrung der heidnischen Götter zu nennen; ein Besuch schickte sich daher für Christ:innen nicht und wird ihnen bald gänzlich untersagt. Zum anderen ist dafür die Eingliederung eines Denkens, das in der Tradition des griechischen Philosophen Platons steht, in das Christentum zu nennen. Zwar wird mit diesem Vorgang möglich, viele Glaubensaussagen des Christentums so zu formulieren, dass sie auch vor den kritischen Geistern der Zeit Bestand haben. 

Doch man erkauft sich damit auch einige Nachteile. Im platonischen Denken wird nämlich davon ausgegangen, dass die unsterbliche «geistige Welt» wesentlich wertvoller ist als die «materielle Welt», die nichts als Vergänglichkeit und Tod bedeutet. Die oben bereits kurz angesprochene «Leibfeindlichkeit» – und damit auch die Vorbehalte gegenüber dem Sport – lassen sich zu einem guten Stück von dieser Tradition her verstehen. Denn nun lässt sich fragen: Warum sollten Christ:innen ihren Körper pflegen, wenn die Erlösung und die himmlische Seligkeit sowieso erst im Jenseits warten? 

Die Antwort: Biblisch Sport treiben!

Als Antwort kann man vorbringen, dass diese platonische Trennung von Körper und Seele in keiner Weise der biblischen Vorstellung entspricht. Die Bibel erzählt vielmehr davon, dass der Mensch in seiner je einmaligen Leiblichkeit als Ebenbild Gottes geschaffen und durch den Atem Gottes belebt worden ist; nirgends ist die Rede davon, dass die Seele vom Körper getrennt ist oder gar nur allein sie etwas schätzens- und bewahrenswertes sei. 

Das Wissen um diese grösste aller vorstellbaren Gnaden – ins Leben gerufen worden zu sein mit einem individuellen Leib und seinen ganz wundersamen Fähigkeiten und Möglichkeiten: Das sollte eher dazu motivieren, mit diesem Gottesgeschenk pfleglich und sorgfältig umzugehen. Und dazu gehört gehört auch der Sport und der spielerische Einsatz des eigenen Körpers selbst im Wettkampf – aber immer unter der Massgabe des Masshaltens. Fairnesss und sportliche Solidarität sollten für Christ:innen genauso wichtig sein wie der wertschätzende Einsatz für diejenigen, die vielleicht keinen Sport treiben können oder ein belastetes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper haben. Hopp Christ:in!